© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Vom Recht, aufdringlich zu sein
Proteststurm: Hundert prominente Französinnen wenden sich gegen die mediale Lynchjustiz der #MeToo-Affäre
Markus Brandstetter

Catherine Deneuve ist neben Isabelle Huppert die bedeutendste französische Schauspielerin der letzten fünfzig Jahre. In mehr als hundert Filmen hat sie vor allem geheimnisvolle Frauen gespielt, die durch ihre kühle, unnahbare Schönheit faszinieren und genau dadurch Männer ganz schön auflaufen lassen.

Madame Deneuve ist seit einem halben Jahrhundert ebenfalls Feministin und das, was man eine progressive Intellektuelle nennt. Sie hat 1971 das von Simone de Beauvoir verfaßte Manifest der 343 („Le manifeste des 343“), in dem die Legalisierung der Abtreibung gefordert wird, mit unterzeichnet, öffentlich gegen die Todesstrafe Stellung bezogen und gegen Landminen und die Genitalverstümmelung von Frauen in Afrika protestiert.

Feministinnen auf der ganzen Welt können Catherine Deneuve also eigentlich nichts vorwerfen – außer vielleicht, daß sie berühmter, schöner, eleganter und reicher als sie alle ist. Aber seit einer Woche findet sich eben diese Catherine Deneuve im Zentrum eines Sturms von wütenden Protesten meist jüngerer Feministinnen wieder, die ihr, wie die italienische Schauspielerin Asia Argento, auf Twitter vorwerfen: „Durch ihre internalisierte Misogynie ist sie inzwischen dermaßen gehirnamputiert, daß sie gar nicht mehr anders kann.“

Was hat, muß man fragen, diese Ikone des französischen Films, die sich selbst ganz klar als Feministin versteht, eigentlich verbrochen, daß andere Frauen sich dermaßen über sie äußern? Die Antwort lautet: Sie hat einen offenen Brief von hundert prominenten Französinnen mit unterschrieben, in dem diese die Welle der Denunziationen kritisieren, mit der Feministinnen hauptsächlich in den USA, Großbritannien und Frankreich auf die sexuellen Übergriffe des Filmmoguls Harvey Weinstein reagiert hatten. Dieser Brief, der in der Hauptsache von Catherine Millet, Ingrid Caven und Catherine Deneuve verfaßt wurde, trägt den Titel „Wir verteidigen die Freiheit, aufdringlich zu sein, als unverzichtbar für die sexuelle Freiheit“ („Nous défendons une liberté d’importuner, indispensable à la liberté sexuelle“.)

Die zentralen Sätze stehen gleich am Anfang: „Vergewaltigung ist ein Verbrechen. Aber aufdringliche oder unbeholfene Anmache ist kein Delikt – noch ist galantes Verhalten eine machohafte Aggression.“ Weiter heißt es in dem Brief: „In der Folge der Affäre Weinstein wurden sexuelle Übergriffe auf Frauen, insbesondere in den Führungsetagen, wo manche Männer ihre Macht gerne ausnützen, einem zum Bewußtsein gebracht. Das war notwendig. Aber diese Aufdeckungen haben sich inzwischen in ihr Gegenteil verkehrt: Inzwischen befiehlt man uns, wie wir zu reden haben und das, was uns ärgert, zu verschweigen, und diejenigen, die sich diesen Anordnungen nicht fügen, werden als Verräterinnen und Komplizinnen angesehen.“

Die Verfasserinnen des offenen Briefes haben in ihren Hauptaussagen nur etwas unterstrichen, was in der Presse ansonsten, geht es um Delikte von Flüchtlingen, stets breitgetrampelt wird, nämlich den uralten Satz aus dem römischen Recht: „In dubio pro reo“, im Zweifel für den Angeklagten. Und sie haben auf einen Grundsatz jedes Rechtsstaates hingewiesen, der lautet: Wer nicht von einem ordentlichen Gericht verurteilt wurde, der hat als unschuldig zu gelten. Eine an und für sich selbstverständliche Angelegenheit, die dies aber, seit es Facebook und Twitter gibt, keineswegs mehr ist.

Entschuldigung bei Frauen, die Opfer wurden

Catherine Deneuve und ihre Mitautorinnen betonen in ihrem Brief vollkommen zu Recht: „Die Metoo-Kampagne hat faktisch in der Presse und den sozialen Medien zur Denunziation und zur öffentlichen Anklage von Menschen geführt und diese, ohne daß man ihnen eine Chance zur Verteidigung oder auch nur zur Erwiderung gegeben hätte, mit Harvey Weinstein auf eine Ebene gestellt.“

Diese – harmlosen und eigentlich selbstverständlichen – Sätze haben genügt, um über Catherine Deneuves schönes Haupt einen Shitstorm hereinbrechen zu lassen, den diese Frau, die für den französischen Film, die französische Kultur und die Sache der Frauen mehr getan hat, als ihre Anklägerinnen es je werden, nicht verdient hat und mit dem sie auch nicht rechnen mußte. Schlimm auch: Keine prominente Frau ist ihr beigesprungen, alle haben sie dabei zugesehen, wie Frankreichs größte Schauspielerin von Nullnummern und Diseusen, die ihr nicht das Wasser reichen können, öffentlich fertiggemacht wurde.

Nicht besser haben sich viele Zeitungsredaktionen – auch in Deutschland – verhalten, die den Brief der hundert Frauen erst falsch übersetzt, dann aus dem Zusammenhang gerissen zitiert und endlich genüßlich die ganzen Twitter-Meldungen abgedruckt haben, in denen Madame Deneuve zur Sau gemacht wurde.

So heftig war die Gegenreaktion, daß Catherine Deneuve jetzt, nur eine Woche nachdem sie in Le Monde die Freiheit, einem lästig zu sein, verteidigt hat, zurückrudern muß. Am 15. Januar hat sie in der linken Tageszeitung La Libération einen Brief veröffentlicht, in dem sie sich bei denjenigen Frauen, die Opfer von „schändlichen Taten“ wurden und sich durch den offenen Brief der hundert Frauen „verletzt fühlen könnten“ („toutes les victimes d’actes odieux qui ont pu se sentir agressées“) entschuldigt und betont: „Nirgendwo in dem Brief stand, daß sexuelle Belästigung gut ist, sonst hätte ich ihn nicht unterschrieben“ („Rien dans le texte ne prétend que le harcèlement a du bon, sans quoi je ne l’aurais pas signé“). 

Ansonsten aber, sagt Catherine Deneuve, habe sie nichts zurückzunehmen. Sie betont noch einmal ganz deutlich, daß sie die Freiheit liebe, aber ein Kennzeichen unserer Epoche überhaupt nicht: daß nämlich jeder glaubt, „er hätte das Recht, über andere zu urteilen, den Schiedsrichter zu spielen und zu verdammen“. Sie brandmarkt unsere Zeit zu Recht als eine Epoche, in der „eine simple Denunzierung in den sozialen Medien Bestrafung nach sich zieht, den Rücktritt von Ämtern und Würden erzwingt und in medialer Lynchjustiz gipfelt“.