© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 04/18 / 19. Januar 2018

Die Herren der Stahlrösser
In Deutschland existiert eine lebendige Szene, die leidenschaftlich alte Dampflokomotiven pflegt
Paul Leonhard

Es sind Männer fürs Grobe. Die anpacken können. Denen Schmutz nichts ausmacht. Die ihre Arbeitshandschuhe ausziehen, um Metallteile besser einfetten zu können. Die Verständnis für Technik haben und ein Herz für riesige alte Stahlrösser. Und der eine oder andere muß auch ein Vermarktungstalent sein, denn es ist ein teures Hobby, Lokomotiven, Reisewaggons und die dazugehörende Infrastruktur am Leben zu halten, die einem nicht einmal gehören, sondern im besten Fall dem Verein.

Es sind Männer wie Carsten Rost vom Verein Bw (Bahnwerk) Dresden-Altstadt, Herr über elf Dampflokomotiven und eine Dampfspeicherlok, acht Diesel- und vier E-Loks. Oder Uwe Breitmeier vom Eisenbahnmusem Darmstadt-Kranichstein und Alfred Simm von den Ostsächsischen Eisenbahnfreunden in Löbau. Es ist eine Welt voller Ruß, Öl, Metall und Liebe. Überall in Deutschland haben sich Eisenbahnfreunde in Vereinen zusammengeschlossen, um ein wichtiges Stück deutscher Verkehrsgeschichte zu erhalten.

Unzählige ehrenamtliche Stunden investieren sie in die Reparatur der Loks. 6.500 Arbeitsstunden wandten beispielsweise die Mitarbeiter der Lokomotiv-Werkstatt Oberwiesenthal auf, um die 1927 gebaute Schmalspurbahn-Dampflokomotive 99 713 der Lößnitzgrundbahn wieder auf die Schiene zu bringen. Aus verrotteten Waggons entstehen nach Jahren wieder schmucke Reisewagen, und wenn es irgendwie geht, zeigen sie gern ihre Schätze im Einsatz, indem sie einander mit Sonderzügen besuchen. Dann ertönen entlang der Gleise wieder langgezogene Pfiffe, steigen gewaltige Rauchwolken auf, hört man das typische Schnaufen der Dampflok, die ihre Wagen hinter sich herzieht. Und längst des Schienenstranges stehen die Eisenbahnfans und fotografieren und filmen. Die Angehörigen der freiwilligen Feuerwehren stehen bereit, um Wasser nachzufüllen.

„Sammeln, Bewahren, Forschen, Präsentieren“, nennt Breitmeier das Motto des Vereins, den er vor knapp einem halben Jahrhundert gegründet hat, um Dampfloks zu bewahren. Rund 20 Millionen Euro haben die Vereinsmitglieder seitdem in die Exponate investiert, die auf dem ehemaligen Rangierbahnhof in Darmstadt-Kranichstein zu besichtigen sind. Zu diesen gehören rund 200 Loks und Waggons aus aller Welt, darunter eine von Hanomag 1913 für die preußischen Staatsbahnen gebaute Lok, die einst beim Bau der Bagdadbahn im Einsatz war.

Eine Stunde fahren heißt zehn Stunden schrauben

In ganz Europa soll es noch mehr als 500 betriebsfähige Dampflokomotiven geben, in Deutschland etwa 160. Rechnet man alle Baureihen und Spurweiten ein, existieren sogar noch rund 1.500 Dampfloks, von denen 1.200 roll- und 300 betriebsfähig sind. Dabei endete das Zeitalter der Dampflokomotiven in der Bundesrepublik offiziell schon Ende Oktober 1977.

Bei der Deutschen Reichsbahn in der DDR dampfte es dagegen weiter. Die zweite Ölkrise 1979/80 führte sogar zu einer kurzzeitigen Renaissance der Dampflok, als abgestellte Lokomotiven reaktiviert wurden, um Devisen zu sparen. Erst am 29. Oktober 1988 wurde der planmäßige Dampfbetrieb auf Regelspurgleisen eingestellt. Unverändert blieb dagegen der Dampfbetrieb auf den Schmalspurbahnen der Reichsbahn. Schon 1985 setzte der Boom der Nostalgie- und Sonderfahrtenprogramme mit privaten Dampfloks und Museumsbahnen ein.

Eine Stunde Dampflok fahren heißt zehn Stunden schrauben, eine Stunde Diesellok fahren eine Stunde schrauben, gilt als Faustregel. Und die spannendste Frage ist für die Eisenbahnfreunde stets, ob sie es schaffen, eine Dampflok auf die Gleise zu schicken. Den Ostsachsen ist es in den letzten Jahren versagt geblieben. Ihnen fehlen die rund 750.000 Euro für die fällige Hauptuntersuchung. Auch die Mitglieder des Vereins „Eisenbahnmuseum Bayrischer Bahnhof zu Leipzig“ haben einen Spendenaufruf für ihre 136 Tonnen schwere Dampflok 52 8154-8 gestartet.

Hier stand eine Kessel-Hauptuntersuchung für 275.000 Euro an. Die Lok wird wohl im Februar zurückkehren – betriebsfähig.

Der einzige Ort in Deutschland, an dem ständig zahleiche Dampflokomotiven zu erleben sind, ist Meiningen. Hier befindet sich das Dampflokwerk der Deutschen Bahn. Hier werden Kessel und Kolben überprüft und pro Jahr etwa 35 Dampfloks aufgearbeitet. Käme er noch einmal auf die Welt, sagt der Löbauer Simm, würde er sich ein anderes Hobby suchen: beispielsweise Bahn-Briefmarken sammeln. Dann verschwindet er wieder unter einer der großen Loks des Vereins.