© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Bis es quietscht
Paul Rosen

Mehrheit ist Mehrheit“, meint CDU-Vize Thomas Strobl zum SPD-Sonderparteitag in Bonn, dessen 642 Delegierte mit 56,4 Prozent der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der CDU und der CSU zustimmten. Wenn Strobl sich da mal nicht irrt. Denn so einfach wird die Bildung der Großen Koalition nicht werden, auch wenn Unionspolitiker den Eindruck erwecken, man müsse nur über das Sondierungsergebnis „Koalitionsvertrag“ schreiben: „Wer jetzt versucht, einzelne Teile in Frage zu stellen, macht das gesamte Paket wieder auf, und das wird nicht gelingen“, warnt etwa die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Auch die CSU gibt sich der Illusion hin, man könne „nicht das, was besprochen worden ist, wieder in Frage stellen“, so Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. 

Genau das hat die SPD-Führung vor. Die Ankündigung von Fraktionschefin Andrea Nahles auf dem Parteitag, man werde „verhandeln, bis es quietscht“, ist sehr ernst zu nehmen. Die gesamte SPD-Führung mußte gegen den jungen GroKo-Gegner Kevin Kühnert von den Jusos in die Schlacht ziehen, der auch die Mehrheit der Herzen gewann, auch wenn der überwiegend aus hauptberuflichen Funktionären bestehende Konvent letztlich doch dem Flehen des Vorsitzenden Martin Schulz folgte. Das war kein „Zwergenaufstand“, wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gespottet hatte, sondern beinahe wäre bei der Rolle rückwärts der SPD zurück in die Regierung ein Polit-GAU passiert. 

Mögen jetzt die bayerischen Backenaufbläser noch so laut trompeten: Sie wären besser beraten, auf die leiseren Zwischentöne aus der CDU zu hören, von der Vorsitzenden zum Beispiel. „Das Sondierungspapier ist der Rahmen, in dem wir verhandeln“, sagt Angela Merkel. Auf Grundlage dieses Papiers müsse noch eine Vielzahl von Fragen im Detail geklärt werden. Auch Kanzleramtschef Peter Altmaier sagt, einige Punkte des Sondierungspapiers bedürften weiterer Präzisierung. Das sind klare Signale an den schwer angeschlagenen Schulz und die SPD, daß es noch was zu holen gibt. Und die Genossen interpretieren bereits richtig: „Die Union, hat, glaube ich, verstanden, daß die SPD überzeugt werden muß“, sagt etwa ihr Generalsekretär Lars Klingbeil. 

Womit ist bekannt: Änderungen bei der Krankenversicherung, die unter der agitatorischen Überschrift „Abschaffung der Zwei-Klassen-Medizin“ laufen und die Reste ärztlicher Vertragsfreiheit beseitigen sollen. Befristete Arbeitsverträge soll es außerdem kaum noch geben, und der Nachzug von Angehörigen von Flüchtlingen soll durch eine „Härtefallklausel“ erleichtert werden, die schnell die Regel statt Ausnahme werden dürfte. 

Die Union und speziell die CSU kann sich sträuben wie sie will: Die Genossen brauchen für ihre Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag ein Zuckerl. Sonst wird das nichts mit der Großen Koalition. Daher wird die Union, wie FDP-Fraktionsvize Michael Theurer richtig erkannt hat, „noch so manchen faulen Kompromiß mitmachen, damit Frau Merkel noch einmal zur Kanzlerin gewählt wird“.