© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

„Das SEK ruft ja auch kein Taxi“
Interview: Der Abgeordnete und Ex-Kampfhubschrauberpilot Rüdiger Lucassen über die Krise bei den Drehflüglern
Christian Vollradt

Die Bundeswehr muß für Afghanistan zivile Hubschrauber chartern. Ist es verantwortlich, sogar Elitesoldaten des KSK von privaten Dienstleistern in den Einsatz fliegen zu lassen?

Lucassen: Grundsätzlich ist Outsourcing auch in Streitkräften sinnvoll. Wenn es richtig umgesetzt wird, kann es Kosten sparen und die Truppe personell entlasten. Die Grenze ziehe ich jedoch eindeutig bei militärischen Kernfähigkeiten. Die Verbringung von Kampftruppen im Einsatzgebiet ist eine solche Kernkompetenz und darf auf keinen Fall von privaten Firmen übernommen werden. Das gilt besonders für das Kommando Spezialkräfte. Das SEK der Polizei ruft ja auch kein Taxi, um zum Einsatzort zu fahren.

Stichworte: Ausbildung von Piloten auf ADAC-Maschinen, bisher ungeklärte Absturzursache eines „Tiger“ in Mali. Hat die Bundeswehr ein besonderes Hubschrauber-Problem?

Lucassen: Ja, die Bundeswehr hat ein massives Hubschrauber-Problem. Die Anmietung von Zivilmaschinen für die Basisausbildung gehört aber nicht dazu. Ein Großteil der fliegerischen Ausbildung kann durchaus mit ziviler Unterstützung durchgeführt werden. Danach werden angehende Piloten auf die jeweiligen Militärhubschrauber weitergeschult. Dort aber liegen die eigentlichen Probleme. Wenn die Kampfhubschrauber „Tiger“ aus dem Einsatzland Mali zurückgeholt werden müssen, damit die Besatzungsausbildung im Heimatland durchgeführt werden kann, dann spricht das Bände. Beim Transporthubschrauber NH 90 zeigt sich eine ähnliche Schieflage. Dort kann nur noch ein Drittel der benötigten Piloten ausgebildet werden, weil es nicht genügend flugbereite Maschinen gibt.

Beim Ersatz für die veralteten CH-53 läuft alles auf einen Wettbewerb zwischen zwei amerikanischen Modellen hinaus. Ist das Ihrer Meinung nach sinnvoller, als auf eine europäische Eigenentwicklung zu setzen, die möglicherweise noch Jahre dauern wird?

Lucassen: Die CH-53 ist ein Hubschrauber mit Entwicklungsstand der sechziger Jahre. Seit Ende der achtziger Jahre wird nach einem Nachfolger gesucht. Als Vorsitzender einer internationalen Arbeitsgruppe der Nato habe ich selbst an der Forderung für ein geeignetes Nachfolgemodell mitgearbeitet. Das ist jetzt wiederum rund 20 Jahre her. Passiert ist seitdem nichts. Die Entwicklung eines europäischen mittleren Transporthubschraubers, besonders unter einer deutsch-französischen Zusammenarbeit, wäre richtig gewesen. Jetzt ist es dafür zu spät und wir müssen in den USA kaufen.

Das Sondierungspapier der „GroKo“ bietet zum Thema Bundeswehr nur Allgemeinplätze. Sehen Sie einen Widerspruch in dem, was von der Truppe verlangt wird und dem, wie sie ausgestattet ist?

Lucassen: Die Verteidigungsministerin kündigte vor zwei Jahren eine Investitionsoffensive für die Bundeswehr von 130 Milliarden an. Wer jetzt das Sondierungspapier der GroKo liest, muß zu folgendem Schluß kommen: Entweder konnte sich Ursula von der Leyen bei den Sondierungsgesprächen nicht durchsetzen oder ihre Plädoyers für eine anständig ausgerüstete Bundeswehr waren nichts als Polit-Marketing. Die Bundeswehr ist bei den Sondierungsgesprächen komplett hinten runtergefallen. Eine derartige Politik ist in der heutigen Zeit grob fahrlässig und wird der Verantwortung der Bundesregierung, die Wehrfähigkeit unseres Landes sicherzustellen, nicht gerecht. Die Feststellung des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags, daß die Bundeswehr als Ganzes zur Landes- und Bündnisverteidigung derzeit nicht einsetzbar ist, teile ich uneingeschränkt.






Rüdiger Lucassen ist Mitglied im Verteidigungsausschuß des Bundestags und verteidigungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion. Er diente 34 Jahre als Berufsoffizier in der Bundeswehr (zuletzt als Oberst i.G.) und war Kampfhubschrauberpilot.

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