© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Endlich zu Hause
Syrien: Einige Flüchtlinge kehren zurück, doch der Großteil wartet ab / Prekäre Situation im Libanon
Marc Zoellner

Es war ein Wiedersehen der ganz besonderen Art: Vier Jahre lang hatten die Einwohner von Deir ez-Zor ihre Heimat nicht betreten können. Nun kehrten sie gleich in Scharen aus dem Lager im kurdisch kontrollierten Asch-Schaddadi zurück. In Buskonvois, von Angehörigen der Syrisch-Arabischen Armee eskortiert, kehrten allein im Dezember gut anderthalbtausend der einstmals dreihunderttausend Bürger der ostsyrischen Stadt zurück. Allesamt schwer bepackt mit Säcken voller Kleidung, Decken und Lebensmitteln. In der ersten Januarhälfte stießen noch einmal gut dreitausend Vertriebene hinzu. Ihr Glück und ihre Freudentränen konnten die meisten kaum verbergen. „Alhamdulillah!“ rief eine ältere Dame, über beide Wangen strahlend, den anwesenden Reportern zu. „Gelobt sei Gott, endlich sind wir wieder zu Hause!“

Zeit zum Feiern bleibt jedoch keine. Viel gibt es zu tun in Deir ez-Zor, denn seit der Niederlage des Islamischen Staats in der gleichnamigen Provinz vom vergangenen Herbst (JF 37/17) gleicht die Stadt einem Trümmerfeld. Das Gros der Häuser ist zerschossen, die öffentliche Stromversorgung noch immer gekappt, den Krankenhäusern mangelt es an Personal und Medizin. 

Erste Hilfslieferungen treffen nur spärlich ein, zumeist gestellt vom Russian Reconciliation Center for Syria, einem humanitären russisch-türkischen Joint-venture, welches sich seit Februar 2016 um die Versorgung und Wiederansiedlung syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge in den befriedeten Provinzen kümmert.

Deir ez-Zor ist eines der Mammutprojekte der Hilfsorganisation, auch und gerade im propagandistischen Sinn: Gemeinsam versuchen Moskau und Damaskus im Osten Syriens zu beweisen, daß nach dem blutigen Bürgerkrieg, der mittlerweile eine halbe Million Opfer sowie 13 Millionen Flüchtlinge zählt, das Land wieder zur Normalität zurückfinden kann.

Um diese zu erreichen, eröffnete die UN-Flüchtlingsagentur UNHCR in Zusammenarbeit mit der Syrischen Gesellschaft für soziale Entwicklung (SSSD) im nordsyrischen Aleppo zwei neue Gemeindezentren. Sie bieten Zehntausenden Menschen in Ost-Aleppo soziale Dienste an und sollen vor allem die Rückkehrer und Binnenvertriebenen dabei unterstützen, die Kontrolle über ihr Leben wiederzuerlangen und den täglichen Überlebenskampf zu bewältigen. 

Noch immer gelten fast acht Millionen Syrer als Binnenflüchtlinge. Hinzu kommen noch einmal über sechs Millionen ins Ausland Geflüchtete. Der Großteil davon ist in der Türkei, im Libanon und in Jordanien registriert. 

Doch gerade im kleinen Libanon, wo mit anderthalb Millionen syrischen Einwanderern auf vier Einwohner ein Flüchtling kommt, gestaltet sich die Lebenssituation der Vertriebenen ständig prekärer. „58 Prozent der Haushalte leben bereits in extremer Armut – mit weniger als 2,87 US-Dollar pro Kopf und Tag“, berichtet das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in einer Anfang Januar veröffentlichten Studie. 

Ihre Armut in den Nachbarländern war auch primärer Grund der gut 720.000 syrischen Flüchtlinge, 2017 in ihre Heimat zurückzukehren. Nicht nur nach Deir ez-Zor, dessen Areal mittlerweile als befriedet gilt, sondern ebenso in die Ballungsgebiete der großen Metropolen von Damaskus und Hama, in deren Umgebung noch immer heftige Kämpfe zwischen der syrischen Armee, unterstützt von Moskau und Teheran, und  Aufständischen sowie dem Islamischen Staat toben, die beide noch immer große Enklaven im Westen Syriens halten. In Rakka, der ehemaligen Hauptstadt des „Kalifats“, eröffneten erst im Dezember die ersten Garküchen und Geschäfte wieder – allerdings auch hier auf einem wortwörtlichen Trümmerfeld. 

 Aufflammende Kämpfe lassen Skepsis überwiegen  

„Als ich zurückkam, fand ich mein Haus nur als Ruine vor“, erzählt der 39jährige Abdel Sattar al-Abid der kurdischen Nachrichtenagentur Rudaw. „Der Schutt lag zwei Meter hoch.“ Auch hier in Rakka, wo die Nächte bis zu zwei Grad Celsius kalt werden, gibt es noch keine Stromzufuhr, keine Versorgungsdienste, kein Heizgas. „Wenn du Geld hast, kaufst du Diesel”, berichtet Mohammed Omar, der zu Fuß an einer Tankstelle für Benzin ansteht. „Hast du kein Geld, verbrennst du Holz. Hast du kein Holz, verbrennst du Matratzen und Möbel.“

Extrem gefährlich sind die Aufräum-arbeiten: Noch immer verbergen sich Minen und hochexplosive Sprengfallen unter den Trümmern. Überdies geraten immer wieder Zivilisten zwischen die Fronten. Allein Anfang Januar starben 17 Menschen aufgrund syrisch-russischer Luftangriffe auf das belagerte Ghuta im Osten von Damaskus, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO bestätigt. Doch trotz der Warnung von UNHCR, dessen Priorität bislang lautet, „den Zugang zu Asyl für syrische Flüchtlinge sicherzustellen und die Möglichkeit in ihren Gastgeberländern bleiben zu können“, werden vom Russian Reconciliation Center auch in den Folgemonaten Zehntausende Vertriebene zurück in Syrien erwartet. 

Auch, obwohl sich ein Ende des Bürgerkriegs noch lange nicht abzeichnet und im Norden des Landes, wo türkische Truppen seit vergangenem Samstag in der Region Afrin gegen die kurdische YPG-Miliz vorrücken, sich bereits ein neuer Konfliktherd herausbildet. „Ich habe mein Leben riskiert und angefangen aufzuräumen“, erklärt Abdel stoisch vor den Ruinen seines Hauses in Rakka. „Wir haben grad jetzt damit begonnen, denn wir wollen endlich wieder hier leben.“

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