© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

„Das ist in Gottes Hand“
Verbrechen: Prozeß gegen Hamidullah M. im Mordfall der christlichen Konvertitin Farimah S.
Martina Meckelein

Farimah S. hatte nicht den Hauch einer Chance. Die vierfache Mutter, eine konvertierte Christin aus Afghanistan, wurde auf offener Straße regelrecht niedergemetzelt. 16 Einstiche zählte später der Gerichtsmediziner. Vor dem Landgericht Traunstein in Bayern wird jetzt eines der aufsehenerregendsten Tötungsverbrechen des vergangenen Jahres verhandelt. 

Es reiht sich ein in eine ganze Abfolge hinterhältiger und tödlicher Übergriffe auf Frauen durch Flüchtlinge. Aber in diesem Fall sehen die Ermittler und die Staatsanwaltschaft das Motiv für den Mord nicht in Habgier oder Frauenhaß. Sie glauben, Farimah S. sei aus Christenhaß getötet worden.

 Dienstg morgen um 8.50 Uhr betritt Hamidullah M. (zur Tatzeit 29) den Sitzungssaal B 33, 150 Sitzplätze, im Erdgeschoß des Gerichtsgebäudes. Der Mann stammt aus Afghanistan, geboren in Rahmatabad. Ein Flüchtling. Jetzt droht ihm eine lebenslange Haftstrafe.

 Jeans und Jeanshemd, um den grünen Parka ein schwarzer Bauchgurt. Daran sind die Handschellen eingehängt. Auch seine Füße sind gefesselt. Staatsanwalt Oliver Mößner verliest neun Minuten lang die Anklage.

Ein Polizist präsentiert das riesige Schlachtermesser 

„Das Motiv für die Tat ist besonders verachtenswert und auf tiefster Stufe stehend“, so die Staatsanwaltschaft. Der Angriff sei für Farimah S. völlig überraschend gekommen. Die Schilderung des Tathergangs durch die Staatsanwaltschaft ist erschütternd.

 Am Samstag, den 29. April 2017 geht Farimah S. mit ihren beiden kleinen Söhnen (5, 11) in ihrer neuen Heimat, in dem kleinen Städtchen Prien am Chiemsee, einkaufen. Zufälligerweise beobachtet der Angeklagte die vierfache Mutter dabei. Die beiden kennen sich. 

Hamidullah M. soll, so die Staatsanwaltschaft, in dem Moment den Entschluß gefaßt haben, Farimah S. zu töten. Er geht deshalb in seine Unterkunft ins Asylbewerberheim und holt ein Messer mit einer 19,5 Zentimeter langen und bis zu 4,5 Zentimeter breiten, zum Ende spitz zulaufenden Klinge. Im Prozeß präsentiert ein Polizist das Tatwerkzeug, es ist ein riesiges Schlachtermesser. Dann fährt er mit einem Fahrrad die 500 Meter zurück zum Lidl-Markt. 

Um 18.40 Uhr kommt Farimah  mit ihren beiden Kindern und den vollen Einkaufstüten wieder heraus. Sie ist gerade dabei, ihre Tüten im Fahrradanhänger zu verstauen, als sich der Angeklagte ihr von hinten genähert haben soll. Laut Anklage packte er sie, zog an ihren Haaren und zog sie nach hinten. Dann stach er ihr mit dem Messer in der rechten Hand mehrere Male mit großer Wucht in den Hals- und in den Wirbelsäulenbereich. Dabei soll er auch schneidende Bewegungen gemacht haben. 

Im Prozeß sagte jetzt ein Kripobeamter aus: „Die Haut konnte man auf die Größe einer Grapefruit aufklappen. Man könnte auch die Verletzungen so interpretieren, daß der Versuch unternommen wurde, den Kopf abzuschneiden.“ Farimah S. stürzt zu Boden. Ihr zweitjüngster, elfjähriger Sohn geht dazwischen, versucht den Angreifer wegzuziehen. 

Doch der Mann läßt nicht von ihr ab. Immer wieder sticht er auf die wehrlose Frau ein. Zeugen rennen dazu, versuchen den Messerstecher abzuhalten. Sie werfen sogar einen Einkaufswagen auf ihn und versuchen ihn mit einem Bauzaun von der Frau wegzutreiben – alles ohne Erfolg. Erst ein zufällig anwesender Polizist, der nicht im Dienst ist, kann den Afghanen gemeinsam mit anderen Passanten überwältigen. Notärzte kämpfen um das Leben der Frau – erfolglos. Sie verblutet auf dem Weg ins Krankenhaus.

 „Mein Mandant wird zur Zeit weder zur Sache noch zur Person aussagen“, erklärt Rechtsanwalt Harald Baumgärtl. „Dann treten wir gleich in die Beweisaufnahme ein“, sagt der Vorsitzende Richter Erich Fuchs.

 Ein Gutachter, der den Angeklagten einen Tag nach der Tat sprach, sagt aus. Demnach behauptete der Angeklagte, er sei Sohn eines reichen Viehhändlers in Afghanistan. Die Mutter tot, wie auch einige der zwölf Geschwister, der Vater habe ein zweites Mal geheiratet. Er selbst habe auf dem Bau gearbeitet, kam 2013 nach Deutschland.

 Haschisch und Alkohol. Später sagt ein Kripobeamter im Prozeß aus, Party machen war sein Alltag in Deutschland. Drogen kaufte er in München. Er selbst sagte gegenüber dem Gutachter, daß er in Deutschland keine Chance bekommen habe, eine Schule zu besuchen. 

Ein Kripobeamter widerspricht: „Es gab umfangreiche Versuche, ihn zu alphabetisieren. Sie wurden von ihm abgebrochen.“ Deshalb sei er geisteskrank geworden, betont der Angeklagte. 2013 in einem Park in Prien will er die Frau, die er später getötet haben soll, das erste Mal getroffen haben. Sie habe ihm gesagt, um in Deutschland bleiben zu können, müsse er Christ werden. Doch er wollte nicht. 

2015 bis 2016 arbeitete er in Deutschland auf dem Bau, er verdiente angeblich 1.500 Euro netto. Dann verlor er den Job, bekam 760 Euro Arbeitslosengeld. Schuld daran, daß er den Job verloren hatte, so glaubte der Angeklagte, sei die nun tote Frau. Er wisse, so sagte er laut Gutachter, „er habe eine Sünde gemacht und müsse bestraft werden. Er höre im Bett immer ihre Stimme, er denke über Selbstmord nach.“

Sie nahm in ihrer Heimat den christlichen Glauben an   

Der Vorsitzende Richter: „Sind Sie gläubig?“ Der Angeklagte: „Ich bin Moslem. Religion und Glaube an Gott ist eine Herzensangelegenheit“, so die Übersetzung des Dolmetschers. „Diese Frau hat meinen ganzen Kopf kaputtgemacht“, soll er gegenüber dem Gutachter gesagt haben. Und: „Das Ganze ist Schicksal gewesen.“

Doch heute vor Gericht will der Angeklagte davon nichts mehr wissen. „Er kann sich nicht an die Tat erinnern“, übersetzt der Dolmetscher die Sätze des Angeklagten, der jetzt doch redet. „Er weiß nicht, was er sich solle zuschulden habe kommen lassen.“ Der Vorsitzende Richter: „Ihnen wird vorgeworfen, eine Frau erstochen zu haben.“ Der Angeklagte Hamidullah M.: „Ich bin nicht berechtigt, jemandem das Leben zu nehmen. Wenn ich jemanden umbringen wollte, dann doch nicht am hellichten Tag.“ Eine Nebenklagevertreterin dazu: „Sie haben jemandem das Leben genommen!“ Der Angeklagte erwidert: „Das ist in Gottes Hand.“

 Es ist die Tragik in einem Mordprozeß, daß das Opfer in der Berichterstattung in den Hintergrund tritt. Die JUNGE FREIHEIT berichtete im Juni des vergangenen Jahres (JF 25/17) schon ausführlich von der Tat – und eben auch von Farimah S. Sie wurde nur 39 Jahre alt. 

Ihr ältester Sohn Peyman S. (20) schilderte damals der JF ausführlich das Leben seiner Mutter und was die Familie bewog, nach Deutschland zu flüchten. Sie hatte einen guten Grund. Denn die Familie war mit dem Tod bedroht. Farimah S., die gebürtige Afghanin aus der Stadt Herat, konvertierte schon in Afghanistan zum Christentum. Ein folgenschwerer Entschluß für sie und ihre Familie. „Wenn du einen anderen Glauben annimmst, machen die dich tot“, erklärte ihr Sohn damals in der JF. „Du darfst keinen anderen Glauben als den deines Vaters haben.“

 Zwar blieben ihr Mann und auch ihre beiden Söhne Moslems, allerdings wurde die gesamte Familie in Afghanistan angefeindet. Die Stimmung kippte, selbst die engsten Verwandten wollen mit der Familie mit der christlichen Mutter nichts mehr zu tun haben. Farimah S. begibt sich mit ihrem Mann und den beiden Söhnen auf die Flucht. Sie endet in Prien. Hier wird die gelernte Schneiderin, sie ist Protestantin, in der Kirchengemeinde herzlich aufgenommen. Sie integriert sich schnell, ihr Deutsch ist ausgezeichnet. Sie engagiert sich in der Flüchtlingsbetreuung.

 Farimah S. war in Prien unter den Flüchtlingen bekannt. Nicht nur weil sie als Dolmetscherin ehrenamtlich tätig war, sondern weil sie die einzige christliche Afghanin war. Auch der spätere Angeklagte kennt Farimah S. Ihr Sohn Peyman sagte damals im Interview gegenüber der JF: „Ich sah ihn (den Täter) das letzte Mal vor ein paar Wochen. Er trank viel Alkohol, nahm Kokain. Immer wenn er mich sah, sagte er zu allen Afghanen, er saß immer mit welchen zusammen, „das ist der Sohn der Christin und er zeigte mit dem Finger auf mich.“

Farimah S. wurde am Donnerstag, dem 4. Mai 2017, unter großer Anteilnahme der Bevölkerung zur letzten Ruhe geleitet. Es sind vielleicht die demaskierendsten Worte zu diesem Fall auf ihrer Beerdigung selbst gefallen. 

Damals berichtete die Münchner Abendzeitung von der Trauerrede des Gemeindepastors: „Es ist genau das passiert, wovor wir alle Angst hatten“, betont Pfarrer Karl-Friedrich Wackerbarth in seiner Trauerrede, „ein Mord, der Vorurteile und Ängste schürt.“ Es scheint, genauso wie im Fall Kandel, für Pastoren die größte Sorge nach solch einem Verbrechen zu sein, die politische Einordnung nicht selbst vornehmen zu können.

Die Staatsanwaltschaft führte während der Anklageverlesung aus, daß Farimah S. den Angeklagten einmal gefragt haben soll, ob er ebenfalls konvertieren wolle. Dies habe den Angeklagten schwer belastet, weil es mit seinem Glauben als Muslim nicht vereinbar gewesen sei. Ob es sich hier nur um eine Schutzbehauptung des Angeklagten handelt, wird der Prozeß erweisen. Das Urteil soll am 9. Februar gesprochen werden.





Christenverfolgung in Afghanistan

Nach dem Weltverfolgungsindex 2018 des überkonfessionellen christlichen Hilfswerks Open Doors werden mehr als 200 Millionen Christen aufgrund ihres Glaubens verfolgt. Unrühmlicher Spitzenreiter seit 2002 ist das abgeschottete kommunistische Nordkorea. Auf Platz zwei folgt Afghanistan (2017: dritter Platz).  Afghanistan ist laut Verfassung ein islamischer Staat. Laut Open Doors werden daher alle anderen Religionen als dem Land fremd angesehen. Folgerichtig stünden Regierungsbeamte allen Anzeichen des christlichen Glaubens feindlich gegenüber. Dies gelte um so mehr für die Führungspersönlichkeiten der ethnischen und religiösen Gruppen. Die Stammesgemeinschaft sei in Afghanistan sehr viel stärker und wichtiger als der Staat. Wenn jemand diese Gemeinschaft verlasse, beispielsweise indem er seine Religion ablegt und den christlichen Glauben annimmt, gelte er als Abtrünniger, der zurückgebracht werden müsse.  Für die meisten Familien stelle ein Glaubenswechsel eine große Schande dar, und die Familienmitglieder würden alles in ihrer Macht Stehende tun, um den Konvertiten zum Islam zurückzubringen oder für die Schande büßen zu lassen.