© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Pankraz,
Ta-Nehisi Coates und die weißen Täter

Weiße Menschen, nicht nur weiße Männer in vorgerücktem Alter, sondern auch jene weißen Mädchen, die sich so gern als „Opfer“ präsentieren, als Opfer sexueller Gewalt beispielsweise oder sexueller Belästigung, können in Wirklichkeit niemals Opfer sein; sie bleiben immer „Täter“. So der schwarze, pardon: afro-amerikanische Publizist Ta-Nehisi Coates (42) aus Baltimore, dessen Essays zur Zeit in Wa-shington und Umgebung höchste Anteilnahme erregen, besonders unter Trump-feindlichen Demokraten an einflußreichen medialen Schalthebeln.

Nach Coates’ Ansicht, so heißt es vielerorts ehrfürchtig, können Weiße niemals der Rolle des Unterdrückers und Vergewaltigers entkommen. Für Coates, so etwa die Zeischrift Tablet, „gibt es kein Weißsein ohne Herrschaft über Nicht-Weiße (…) Es sind vielmehr Identitäten, die in Genozid, Kolonialismus und Sklaverei ihren Ursprung haben und die sich eben dann immer wieder gewaltsam manifestieren. (…) Sie erlauben dem weißen Mann nicht nur, wie Aaron Bady sagt, sie zwingen ihn dazu, seine eigene privilegierte Erfahrung als normal zu betrachten und alle anderen als mindere Kopien seiner eigenen Existenz.“

Der (weiße) Amerikanist Nicolas Martin-Breteau besuchte für die Pariser Zeitschrift La vie des idées das National Museum of African American History and Culture in Washington, das neuerdings „eine ungeheure symbolische Bedeutung“ für die Besucher erlangt habe, „weil es endlich auch offiziell würdigt, daß die Schwarzen ihre Befreiung aus der Sklaverei und Gleichstellung ihrem eigenen Kampf und nicht dem Wohlwollen der Mehrheit oder weißer Abolitionisten verdanken (…) Die vom Museum erzählte Geschichte der Ungleichheit und der rassistischen Gewalt ist nicht Vergangenheit, sondern gelebte Erfahrung, und ist es auch heute noch.“


Auch für Coates ist der Kampf gegen die „weiße Sklaverei“ noch längst nicht beendet, sondern beginnt heute erst richtig. In seinen Texten übers „Weißsein“ findet sich eine bezeichnende Ausweitung des Totschlagwortes „Rassismus“. Rasse („Race“) dürfe nie ausschließlich nach „natürlichen“, rein biologischen Kriterien wie Hautfarbe und dergleichen diagnostiziert werden, denn sie sei – sogar in erster Linie – ein kulturelles Phänomen. Unterdrückung, Vergewaltigung, Versklavung, Ausbeutung – das seien keine naturgegebenen Verhaltensweisen, sondern eindeutig kulturelle, nämlich rassistische.

Und es seien, wird dem Leser nahegelegt, Äußerungen eines spezifisch „weißen“ Rassismus. Letztlich läuft bei ihm doch alles auf simple Biologie hinaus. Es gibt demnach auf der einen Seite „die Weißen“, auf der anderen „coloured people“, farbiges Volk in vielerlei Abstufungen. Je farbiger, desto besser. Auf jeden Fall sei das Weiße Signum allen Unheils, das über die Menschheit gekommen sei, und ihre Rettung angesichts schwierigster zukünftiger Herausforderungen, ihr Überleben hänge davon ab, ob es gelingen werde, sie kräftig einzufärben.

Natürlich kann man das Treiben von Ta-Nehisi Coates & Co. und das erfolgreiche Medienecho, das sie bei den weißen „Leitmedien“ finden, verächtlich abtun, es als typischen Ausdruck weißer „Oikophobie“ nehmen, also jenes Hasses auf das Eigene, der die Intellektuellen des sogenannten Westens befallen hat. Schließlich lehrt jeder genauere Blick auf die geistig-technische Entwicklung der Menschheit, daß es weiße, „westliche“ Erfindungsgabe und Entschlußkraft gewesen sind, die die Menschheit vorangebracht haben.

Trotzdem bleibt ein Stachel angesichts des Tobens von Ta-Nehisi Coates, das man ja leicht als Kompensationsversuch afro-amerikanischer Minderwertigkeitsgefühle abtun kann. Wie wäre es denn, sich einmal indischen Nachdenkern der Gegenwart zuzuwenden, Gestalten wie Raja Ramanna, Karan Singh oder Raimon Panikkar, die ebenfalls, freilich ohne Schaum vor dem Mund, ihre Zweifel an der wahren Humanität „westlichen“ Weltveränderungswillens angemeldet haben.


Raja Ramanna brachte es auf den Nenner: „Wir in Indien hatten ja alles schon, lange bevor ihr Europäer darauf gekommen seid, haben aber klugerweise die Finger davon gelassen.“ Tatsächlich, ob Quantenmechanik oder Evolutionslehre, Relativitätstheorie, dissipative Strukturen oder Quarks – für alle diese Erkenntnisbereiche und Weltperspektiven des Abendlands hat es in der indischen Philosophie bereits vor Jahrtausenden genaue Entsprechungen und Paradigmen gegeben. Man hat sie aber  ganz bewußt nicht in Richtung auf Technik und Naturbeherrschung angewendet. Warum?

War es, weil schon die alten Inder die verhängnisvolle Dialektik der Aufklärung gesehen haben, bei der sich nur allzu oft Wohltat in Plage, Macht in Ohnmacht, Einsicht in Ignoranz verwandeln? Jedenfalls machten sie schon sehr früh ein äußerst  materialistisches, ganz auf äußeren Lebensgenuß erpichtes Zeitalter durch: die sogenannte „Ära des Charvaka“, die zeitlich etwa mit der Zeit Homers in Griechenland zusammenfällt. Der Vordenker jener Ära, Brihaspati, spottete nicht weniger über Gott, Religion und Priesterschaft als später die Enzyklopädisten um Diderot und Holbach.

Man weiß leider wenig über Charvaka, weiß zum Beispiel nicht, ob es zu seiner Zeit – parallel zum wissenschaftlichen Fortschritt – soziale Bestrebungen zur Überwindung der Kastengesellschaft gegeben hat. Als viel später dann der Buddhismus zur Macht aufstieg, stand die Kastengesellschaft jedenfalls (wieder?) in voller Blüte. Die heutige Überheblichkeit einiger indischer Denker gegenüber dem „veräußerlichten“ Abendland wirkt deshalb, findet Pankraz, einigermaßen deplaziert.

Sicherlich, der (auch) sozial-kulturell denkende abendländische Homo faber hat gesündigt, indem er die wahre Natur des Menschen ignorierte. Soziales Denken muß entschieden auf die nichteuropäische wie außermenschliche Natur ausgedehnt werden. Aber man kann es natürlich nur ausdehnen, wenn man es hat. Dies nicht zuletzt ins Stammbuch der aktuellen Ta-Nehisi Coates & Co.