© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

„Jubeltöne, Heldensöhne“
Reine Zauberei: Marek Janowski dirigiert Webers „Euryanthe“ in Dresden
Sebastian Hennig

Carl Maria von Webers „Freischütz“ ist die Nationaloper der Deutschen. Von ihr gibt es viele Einspielungen mit berühmten Sängern und Dirigenten, von Joseph Keilberth über Carlos Kleiber bis zu Christian Thielemann. Gerade entgegengesetzt verhält es sich mit Webers einziger durchkomponierter Oper „Euryanthe . Nach der Uraufführung in Wien im Oktober 1823 konnte die große romantische Oper nach einer Legende aus dem 13. Jahrhundert um die „überaus tugendhafte und keusche Prinzessin von Savoyen“ keinen Platz im gängigen Opernrepertoire behaupten. Der Dichter und Dramatiker Ignaz Franz Castelli meinte damals, die Oper sei „fünfzig Jahre zu früh gekommen“.

Tatsächlich sollte es sogar dreimal so lange dauern, ehe im Weber-Gedenkjahr 1976 die erste Gesamteinspielung von „Euryanthe“ verfügbar war. Marek Janowski dirigierte damals die Dresdner Staatskapelle, aufgenommen wurde 1974 in der Dresdner Lukaskirche. Der Dirigent war in der damaligen DDR auf ein Orchester mit einer einzigartigen Klangkultur getroffen, das sich zugleich für ein Arbeitsethos entzünden ließ, welches bei den arrivierten Kollegen auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs kaum noch anzutreffen war. Nachdem die Grenzen offen waren, änderte sich das. Die Umstände, unter denen die wechselseitige Loyalität sehr rasch einseitig aufgekündigt wurde, empfand der Dirigent als unanständig und hat bis auf den heutigen Tag nie wieder mit dem Orchester zusammengearbeitet. 

Gleichwohl blieb Marek Janowski in Dresden präsent und war zu Beginn des Jahrtausends für einige Jahre sogar Chefdirigent der Dresdner Philharmonie. Diese Beziehung endete dann gleichfalls mit Verdruß. Unter dem Vorwand der Hochwasserschäden trat die Stadt Dresden von ihrem Versprechen zurück, endlich einen angemessenen Konzertsaal für die Philharmonie zu bauen. Seit das Gewerbehaus im Februar 1945 untergegangen war, mußte sich das Orchester mit Provisorien abfinden. Zuletzt war es der Dauernutzer einer Mehrzweckhalle, die ebenso für Parteikonferenzen, Fernsehübertragungen und Schlagerfestivals ausgelegt war.

Vertonte Landschaft, Raum gewordene Klänge

Schließlich wurde der Kulturpalast Dresden doch auf die Bedürfnisse des Konzertgeschehens zugeschnitten und im vergangenen April eröffnet. Das mit Bangen erwartete Ergebnis war sowohl optisch wie akustisch eine freudige Überraschung. Der Saal ist angenehm gestaltet. Die Naturfarbe von Holz ist vorherrschend und wird mit einer ziegelroten Polsterung der Sitze akzentuiert. Die mattweiße Decke und die Balustraden fassen alles mit einem heiter-freundlichen Ernst ein. Die offeneren Sitzreihen sind weit bequemer als bisher. Trotz einiger Balkone im Rücken des Orchesters bleibt die für ein Konzert so sinnfällige wie feierlich wirkende Einrichtung einer zentral ausgerichteten Symmetrie bestimmend. 

Mit dieser Wendung kehrte nun auch Marek Janowski nach Dresden zurück. In dieser Saison war er mit der unvollendeten 9. Sinfonie von Bruckner und dem gleichfalls fragmentarischen 3. Klavierkonzert von Béla Bartók, mit Francesco Piemontesi am Flügel, zu erleben. Beinahe zeitgleich mit der Vertragsverlängerung von Christian Thielemann als Chefdirigent der Sächsischen Staatskapelle wurde bekannt, daß Janowski ab 2019 das andere große Dresdner Orchester leiten wird. Daß für Dresden als Musikstadt nun bald große Zeiten anbrechen, machte die konzertante Aufführung von Carl Maria von Webers „Euryanthe“ durch die Dresdner Philharmonie unter Marek Janowski am 19. Januar deutlich. 

Für das Konzert hat er eine Fassung von „Euryanthe“ zusammengestellt, die ohne Atempause berückende klangliche Schönheiten herausstellt. Wenn Euryanthe (Emily Magee) in einsamer Ödnis fleht: „Wo berg’ ich mich?“, dann hören wir vertonte Landschaft und Raum gewordene Klänge. Das Orchester ist von Weber überschaubar besetzt und erzeugt dennoch gewaltige Wirkungen. Zwischen den ätherischen Geigen und Flöten und den unheimlichen Bässen und Hörnern spannt sich eine ganze Welt.

Das gespenstige Weben scheint in der „Euryanthe“ aus der Wolfsschlucht des „Freischütz“ hinausgestiegen zu sein und breitet sich als feiner Duft über die ganze Szenerie aus. Wenn es ebenfalls einen Jägerchor, „Die Thale dampfen“, gibt, so ist doch vom ländlich Lieblichen und innig Volkstümlichen der Schützengeschichte hier nichts zu merken. Oft singen die Instrumente mit den Sängern im Duett. So entstehen geheimnisvollen Klangfarben. Alles ist verflochten und ergibt im Zusammenklang Töne, die keinem Instrument zu entlocken wären. Musik wird hier zur reinen Zauberei.

Dabei werden dieser konzertanten Aufführung durch die Positionierung von Sängern und Instrumentalisten dramatische Wirkungen hinzugefügt. Während Eglantine (Catherine Foster), Adolar (Bernhard Berchtold) und Lysiart (Egils Silins) vor dem Orchester stehen, kommt der Baß des Königs Ludwig (Steven Humes) mäßigend und umfassend aus dem Hintergrund zwischen Geigen und Blech. Der Rundfunkchor des MDR singt auf dem Balkon unter der großen Orgel. Im Finale des ersten Aufzugs verkünden die Trompeten von der Empore herab „Jubeltöne, Heldensöhne“. In der Schlußszene umfaßt sich das wiedergefundene Paar und kehrt sich dem jubelnden Chor zu. 

Das aufgezeichnete Konzert wird am 3. Februar um 19.05 Uhr im Deutschlandfunk Kultur und am 24. Februar auf MDR Kultur gesendet.

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