© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Geschichtsblindes Weltanschauungsgefasel
He too: Martin Heidegger als Opfer politisch korrekter Übergriffigkeit
Jürgen Schröder

Karl Löwith (1897–1973) war ein früher Schüler Martin Heideggers, der ihn 1927 in Marburg habilitierte, mit einer schon den Keim der Kritik an des Lehrers „Subjektivismus“ und „Nihilismus“ enthaltenden Arbeit über „Das Individuum in der Rolle des Mitmenschen“. Wegen seiner jüdischen Herkunft zur Emigration gedrängt, begann für den Marburger Privatdozenten mit der NS-Machtergreifung eine Odyssee, die ihn von Italien über Japan 1941 in die USA führte. Von dort kehrte Löwith mit Hilfe des ebenfalls zur ersten Schülergeneration des „Zauberers von Meßkirch“ zählenden Hans-Georg Gadamer 1952 nach Deutschland, auf einen Heidelberger Lehrstuhl, zurück.

Die lebenslange Auseinandersetzung mit Heideggers Denken, das für ihn die deutsche Variante des konsequent im Zeitalter der totalitären Extreme mündenden europäischen Nihilismus repräsentiert, hat das gesamte Werk Löwiths geprägt, vor allem die im Exil entstandenen, die Krisen und Katastrophen des 20. Jahrhunderts ideenhistorisch herleitenden Hauptschriften „Von Hegel zu Nietzsche. Der revolutionäre Bruch im Denken des 19. Jahrhunderts“ (1941) sowie „Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologischen Voraussetzungen der Geschichtsphilosophie“ (1949). 

Die 1933 abrupt unterbrochene, nach 1952 nur mühsam wiederhergestellte persönliche Nähe und die geistige Intensität seiner kritischen Aneignung haben Löwith zur ersten Autorität in der bundesdeutschen Heidegger-Rezeption werden lassen. Die stärkste Wirkung, die die Wahrnehmung des „Seyns“-Denkers bis heute formt, ging aber von einem erst 1986 publizierten, im japanischen Exil entstandenen autobiographischen Text aus. „Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933“, erschienen zu einem Zeitpunkt, als der „Historikerstreit“ um den Heidegger-Schüler Ernst Nolte hohe Wellen schlug, machte mit wenigen Zeilen über eine Begegnung Furore, die zwischen dem 1933 in die NSDAP eingetretenen Freiburger Professor und dem Emigranten Löwith 1936 in Rom stattfand. 

Gemeinsame Ausflüge mit Parteiabzeichen am Revers

Heidegger, so erinnert sich der verbitterte Löwith, habe sein Parteiabzeichen nicht einmal während eines Ausflugs in die ländliche Umgebung vom Rockauf-schlag entfernt. Ihm sei es offenbar nicht in den Sinn gekommen, „daß das Hakenkreuz nicht am Platz war, wenn er mit mir einen Tag verbrachte“. Ergänzt um einige Gesprächsnotizen, die auf Heideggers Eingeständnis zuliefen, seine Parteinahme für den Nationalsozialismus läge im Wesen seiner Philosophie, vermittelte Löwith damit posthum einer den Raum der Überlieferung. Damit griff er schon damals der historisch ziemlich bewußtlos gewordenen, Geschichte durch Moral ersetzenden akademisch-feuilletonistischen Öffentlichkeit vor, das auf diesem Niveau ein entsprechende  Schwarz-Weiß-Fresko vom „Naziphilosophen“ Heidegger zeichnen sollte.

Keine Frage daher, daß die Edition von Löwiths Briefwechsel mit seinem frühen Förderer und späteren Kontrahenten Aufmerksamkeit verdient. Die von Alfred Denker (Vallendar) besorgte Ausgabe enttäuscht jedoch in zweierlei Hinsicht. Zum einen, weil sie, trotz des bis 1973 abgesteckten Zeitrahmens, substantielle Korrespondenz, Briefe Heideggers und Löwiths, lediglich von 1919 bis 1932 enthält. Der biographisch und werkgeschichtlich passabel erforschte „Weimarer“ Heidegger, um den es ja bei dieser ersten Kostprobe eines in Angriff genommenen Riesenprojekts einer Heidegger-Briefausgabe primär geht, funkelt daher nur in wenigen neuen Facetten.

Zum anderen löst Denker das im Vorwort gegebene Versprechen nicht ein, eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende, also möglichst umfassende und präzise annotierte Edition geben zu wollen. Stattdessen erwartet den Leser ein selten üppiges Bukett an Falschangaben und Auslassungen, das Denkers solide Unkenntnis der deutschen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte dokumentiert. Die Liste der Corrigenda reicht hier von fehlerhafter Namensschreibung, etwa bei dem berühmten Berliner Romanisten Eduard Wechssler („Wechsler“), bis zur faktenfreien Erfindung von Sachverhalten, etwa in der Anmerkung, die wohletablierten Berliner Großordinarien Eduard Spranger und Heinrich Maier hätten 1930 Heideggers Berufung in die Reichshauptstadt verhindern wollen, weil sie selbst auf seinen Lehrstuhl spekulierten. 

Nicht einmal Ausrutscher bei der Transkription werden vermieden, soll es doch wohl in einem Löwith-Brief vom April 1930 heißen: „[…] der ich keine Zeitung halte und lese“ statt „keine Zeitung hatte und lese“ – ein feiner Unterschied! Aus einem politisch interessierten Sozialphilosophen, der sich den Luxus nicht leisten kann, eine Zeitung zu abonnieren, wird ein Zeitgenosse, der nur eine bestimmte Ausgabe, die Heidegger meinte, grad nicht zur Hand hatte. 

Nicht weniger gravierend ist die Unzahl karger Anmerkungen, die von Denkers Unlust zeugt, größeren Rechercheaufwand zu treiben. Da ist dann stets rasch ein „nicht ermittelt“ zur Hand, oder es bleibt bei der von Desorientierung zeugenden Kolportage, wie beim „Naziverlag Korn“, wo neben Heideggers Rektoratsrede auch „völkisch-nationalistische Schriften“ eines gewissen „Möller van den Bruck“ herauskamen. Derart ins Licht des Obskurantismus getaucht, verschwindet die große Tradition des 1741 in Breslau gegründeten schlesischen Unternehmens W. G. Korn, das schon zu deren Lebzeiten Werke Gottscheds, Gellerts und Lessings verlegte. 

In die Gefilde der Groteskkomik stößt Denker freilich erst mit einem Hinweis im Nachwort vor. Dort bedankt er sich für die „sorgfältige Korrekturarbeit“ bei Marion Heinz. Editorische Sorgfalt ist ja wohl, wie der arme Denker ausweislich seines schludrigen Anmerkungsapparats schmerzlich bestätigt findet, das allerletzte, was man bei diesem geschichtsblinden Huhn voraussetzen darf. Aber die militante Heidegger-Hasserin, die 2015, anläßlich des mit geballter Leitmedien-Macht skandalisierten Erscheinens der angeblich „antisemitisch kontaminierten“ „Schwarzen Hefte“, in Siegen ein stramm „antirassistisches“ Tribunal mit international besetzter Richterbank inszenierte (JF 13/15), war für Denker vielleicht nicht zu umgehen. 

Immerhin ist Heinz für ihre Regie bei diesem Haberfeldtreiben gegen einen vermeintlichen „Antisemiten“ mit einem Platz im Wissenschaftlichen Beirat des Projekts der Briefedition offenbar belohnt worden, wo sie neben dem Hasenfuß Günter Figal, einem anderen „diplomierten Lakaien“ (Josef Dietzgen) sitzt, der gleich beim Anlaufen der jüngsten Schmutzkampagne gegen den Philosophen von seinem Amt an der Spitze der Heidegger-Gesellschaft zurücktrat.    

Trawny wollte mit Skandal beamtete Professur ergattern

Bei der Herausgabe der mindestens 10.000 Briefe umfassenden Korrespondenz bahnt sich mithin, wenn auch in abgeschwächter Form, auf der historisch-philologischen Ebene, ein ähnliches Debakel an, wie zuletzt bei den von Peter Trawny veröffentlichten Denk-Tagebüchern, den „Schwarzen Heften“ (zuletzt JF 48/16). Martin Heidegger hat bisher einfach kein Glück mit der Edition seines Œuvres. Was auch, wie wir jetzt aus einem materialreichen, erfreulicherweise nicht in die Rubrik Heidegger-Hetze à la Heinz fallenden Band zur deutschen und italienischen Rezeptionsgeschichte der „Schwarzen Hefte“ erfahren, an einer Nachlaßverwaltung lag, die ungeschickter nicht hätte operieren können. Diesen haben nämlich der Freiburger Emeritus Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Heideggers letzter Privatassistent, und der römische Edith-Stein-Experte Francesco Alfieri zusammengestellt. 

Der peinlichste Fehlgriff, die Bestellung Trawnys zum Herausgeber, basierte demnach nicht auf einer kritischen Bewertung von dessen philosophiehistorischer Kompetenz, sondern auf von Herrmanns Barmherzigkeit. Er habe, so bedauert von Herrmann, den überalterten Trawny, der mit 51 Jahren ohne Lehrstuhl, aber mit Frau und Kind dastand, aus seiner finanziellen Notlage befreien wollen und ihn den familiären Nachlaßverwaltern, Sohn Hermann und Enkel Arnulf Heidegger, empfohlen. Leider glaubte Trawny dann, mit der „Instrumentalisierung der Judenfrage“, den sich nur auf wenige Seiten des gewaltigen Textkonvoluts summierenden marginalen Notizen zu diesem Themenkomplex, „alles auf eine Karte setzen“ zu müssen, um noch eine beamtete Professur zu ergattern. 

Keine abwegige Spekulation in einem vom politisch korrekten Philosemitismus dominierten Milieu, in dem viele das Leid der Juden unter Hitler karrieristisch ausgebeutet haben. Trotzdem ist sie nicht aufgegangen, vielleicht weil die konformistische Hohlheit dieses Philosemitismus, von dem der hier zitierte französisch-jüdische „Meisterdenker“ Alain Finkielkraut bekennt, es graue ihm davor und vor dem davon befeuerten „Antiheideggerianismus“, inzwischen erheblich an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat – durch sein dröhnendes Schweigen zu antisemitischen Exzessen millionenfach nach Europa importierter muslimischer Judenfeinde. Vor diesem Hintergrund kann man mit dem „Antisemitismus“-Popanz bei Heidegger eben keinen Blumentopf mehr gewinnen.

Ahistorisch politisierender Hypermoralismus

Daß Trawnys historische Kenntnisse gerade einmal ausreichten, um Hindenburg und Hitler nicht zu verwechseln, wie er in einer älteren Edition der Texte Heideggers zu Ernst Jünger erkennen ließ, hätte die Wächter über den Nachlaß warnen müssen. Daß ihm überdies das philosophische Vermögen fehlte, um die „Schwarzen Hefte“ auch nur sauber zu edieren, das begriff von Herrmann erst, als es zu spät war. Nun klagt er, Trawny habe in einem „kommentierenden“ Machwerk über „Heidegger und der Mythos der jüdischen Weltverschwörung“ (2015) nur „urteilsschwach von Heideggers Antisemitismus“ geschwafelt. Mehr als „Weltanschauungsgefasel“ (Heidegger) hat der seit 2013 sich hinziehende Tagungszirkus und die die Altpapiertonnen füllende Aufsatzflut in Sachen „Schwarze Hefte“ auf seiten der Ankläger denn auch tatsächlich nicht produziert. 

Daher ist der in diesem Band von Herrmann skizzierte, von Alfieri explizierte Versuch, den Inhalt der „Schwarzen Hefte“ werkimmanent philosophisch-systematisch zu interpretieren, der erste wirklich bedeutende Schritt aus den Niederungen eines ahistorisch politisierenden Hypermoralismus. Leider versteift sich das deutsch-italienische Duo bei seinen hermeneutisch anspruchsvollen Exegesen allzu apodiktisch auf die lediglich behauptete Möglichkeit, „reine“ Philosophie von „unreiner“ Zeitgeschichte trennen zu können.

Alfred Denker (Hrsg.): Martin Heidegger – Karl Löwith, Briefwechsel 1919–1973. Verlag Karl Alber, Freiburg 2017, gebunden, 330 Seiten, Abbildungen, 69 Euro

Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Francesco Alfieri: Martin Heidegger. Die Wahrheit über die „Schwarzen Hefte“. Duncker & Humblot, Berlin 2017, broschiert, 336 Seiten, 39,90 Euro