© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Da kommt etwas auf uns zu
Der Aufstieg Chinas und die Sicherheit Ostasiens: Eine vergleichende Länderstudie zur Außenpolitik der großen Mächte
Peter Seidel

Bücher, die sich mit der Lage in Ostasien angesichts der Erstarkung Chinas und der Schwerpunktverlagerung der USA in den Pazifik beschäftigen, bedienen sich gern eines alarmistischen Untertons: Da ist dann die Rede vom „programmierten Krieg“ (Jean-François Susbielle 2006) oder „warum in Asien Krieg droht“ (Jonathan Holslag 2015) – seit Jahren unverändert. 

Um so dankbarer muß man sein, wenn sich eine Institution wie der renommierte deutsche Think Tank Stiftung Wissenschaft und Politik, der auch die Bundesregierung berät, dieses Themas annimmt. Seine Länderübersicht „Sicherheit in Asien. Konflikt, Konkurrenz, Kooperation“ bietet eine Aufsatzsammlung namhafter Experten, die die Hintergründe tagesaktueller Konflikte wie den Ausbau von Atollen zu Militärstützpunkten durch China oder das Scheitern des pazifischen Freihandelsabkommens TTP in den USA beleuchten und mögliche oder wahrscheinliche Trends benennen.

Ausgangspunkt des 240-Seiten-Bandes ist der Aufsatz über China, um dessen Aufstieg in Asien sich inzwischen alles dreht. Dies zeigen schon die Zweifel im Vorwort, „ob Frieden und Stabilität in Asien dauerhaft gesichert werden können“. Die Autoren Hanns Günther Hilpert und Christian Wagner weisen darauf hin, daß sich mit Korea, Taiwan und Kaschmir die gefährlichsten Konfliktherde der Welt, die sechst größten Armeen der Welt und fünf der neun Atommächte auf dem Kontinent befinden. So konzentriert sich das Büchlein auf die „immer stärker akzentuierte sino-amerikanische Großmachtrivalität“ nach der US-Schwerpunktverlagerung nach Asien, die „kein kurzfristiger Schwenk“ sei, was gerade nach dem Scheitern des TTP-Freihandelsabkommens unter Trump noch wichtiger wird.

China hat sich zu Beginn dieses Jahrzehnts nicht nur in der offiziellen Rhetorik vom bescheideneren Kurs eines Deng Xiaoping Anfang der neunziger Jahre abgewandt, auch wenn es nach wie vor mit Nordkorea nur einen formellen Bündnispartner hat. Mangels eines kollektiven Sicherheitssystems wie der Nato in Europa stützt sich die Politik in Asien deshalb auf bilaterale Sicherheitsallianzen (vor allem der USA), was die Sicherheit mangels Institutionalisierung dort in Krisen labiler und unberechenbarer macht. 

Im Zentrum des Buches steht deshalb auch der herausragende Aufsatz von Michael Paul über „China im Fokus amerikanischer Sicherheitspolitik“, der von der Genesis der US-Asienpolitik seit Obama über die dabei aufgestellten Konzepte für den Umgang mit China die heutigen Perspektiven bewertet. Dabei berücksichtigt er diplomatische wie militärpolitische Natur Kernelemente und Defizite und Dilemmata vor dem Hintergrund militärtechnologischer Entwicklungen wie weitreichende Anti-Schiffraketen gegen Flugzeugträger („Air-Sea Battle“). 

Lesenswert auch die Aufsätze über Rußland und Japan als Akteure in Ostasien, während die abschließenden Beiträge über Indonesien und Indien gerade aufgrund der Zurückhaltung und innenpolitischen Orientierung dieser Staaten eher der Vervollständigung des Bildes dienen. Letzteres gilt nach wie vor auch für Japan, das allerdings seinen Spielraum unter Ministerpräsident Shinzo Abe konsequent auszubauen versucht, während Rußlands Möglichkeiten in Fernost schwinden.

Interessensphären zwischen China und Rußland

Deutschland und die EU kommen in dem Band kaum vor, obwohl er aus Deutschland stammt, dem Verbündeten der USA, neuerdings „strategischen Partner Chinas“ und bedeutendem Handelspartner in Asien. Aufschlußreich kommentieren die Autoren, daß „auch der Bundesrepublik und der EU daran gelegen ist, sich nicht zwischen China und den USA entscheiden zu müssen“. Angesichts der nicht nur handelspolitischen Irritationen im Verhältnis zu den USA unter Trump bleibt hier eine Lücke, die in der Zukunft noch einiges an Aufmerksamkeit verlangen dürfte.

Der Band gefällt durch nüchterne Sprache, umfassende Betrachtungsweise und abgewogene Kommentierung. Ein gravierendes Manko ist allerdings die unverständliche und problematische Zurückhaltung, die Lage durch großzügiges Kartenmaterial zu verdeutlichen. Eine Miniaturkarte zu Beginn und die Definition der Begriffe „Asien“ und „Ostasien“ ist hier völlig unzureichend und trägt so leider dazu bei, daß die zahlreichen Initiativen der großen Mächte in der Region und ihrer potentiellen Konfliktfelder im wahrsten Sinne des Wortes „unterbelichtet“ bleiben. 

Dies gilt nicht zuletzt für die Bedeutung der Ölversorgungswege zur See, insbesondere durch die Straße von Malakka, die „maritime Seidenstraße“ und die Bedeutung der „Inselketten“, aber auch für den Ausbau der alten Seidenstraße in Zentralasien, wo China auf längere Sicht mit Rußland in Konflikt geraten könnte, da sich hier die Interessensphären kreuzen. Insgesamt schmälert das den Wert dieses Bandes, zeigt aber zukünftige Optimierungsmöglichkeiten für solch geopolitische Themen, die ihre Anschaulichkeit für die interessierte Öffentlichkeit deutlich steigern könnten.

Hanns Günther Hilpert, Christian Wagner (Hrsg.): Sicherheit in Asien. Konflikt, Konkurrenz, Kooperation. Nomos Verlag, Baden-Baden 2017, broschiert, 240 Seiten, 49 Euro