© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Soundeffekte, Livescreen und jede Menge Bier
Längst hat Darts den Weg aus den britischen Pubs herausgefunden und lockt mit seinen drolligen Shows immer mehr Deutsche vor die Scheibe
Paul Leonhard

Die Flasche Barcadi-Rum lockt. Der Animateur hat sie breit grinsend geschwenkt, als er mit ihr am Pool entlang gelaufen ist, um die faul in der Sonne Liegenden zu einer Wand zu locken, an der eine unscheinbare Scheibe befestigt ist.

Fünf Minuten später stehe ich mit einem halben Dutzend anderer Touristen vor dieser, halte einen Pfeil in der Hand und visiere das Ziel an. Alles scheint ganz einfach. Bis zum ersten Probewurf. Peinlich. Der Pfeil schafft es nicht zum Ziel, sinkt davor kraftlos zu Boden. Der zweite Pfeil erreicht die Scheibe – außerhalb des bemalten Kreises. Für den dritten gibt es Beifall. Er steckt zitternd in der Mitte, die nächsten beiden daneben. Na also. Ich bin ein Naturtalent. Schluß mit den Probewürfen, der Wettkampf kann beginnen. Vor meinem geistigen Auge stehe ich wie Darts-Legende Peter Wright mit farbigem Irokesenschnitt bereit, die kleinen Pfeile ins Ziel zu schicken. „Poul, the German“ ist der Kampfname, den mir der Animateur verpaßt hat. Zu meinen Gegnern zählen ein russisches Schwergewicht, eine blasse Engländerin und eine blond gefärbte ältere Kanadierin: „Mister Moscow“, „Queen“ und „The Lady“. Letztere fingert eigene Pfeile aus einem Etui, prüft die Spitzen.

„Darts ist kein Glücksspiel“, hat ein britischer Richter Anfang des 20. Jahrhunderts entschieden, nachdem ihm William „Bigfoot“ Anakin im Gerichtssaal seine Treffsicherheit demonstriert hatte, indem er dreimal die 20 traf, während ein Gerichtsdiener nur mit einem Pfeil die Scheibe traf. Bigfoot traf dann noch dreimal die zweifache 20.

England gilt als das Mutterland des Darts. Der britische Zimmermann Brian Gamlin legte 1896 die bis heute gültige Einteilung der Scheibe in 20 Segmente mit unterschiedlichen Werten zwischen 1 und 20 fest. Dabei liegen einstellige Zahlen neben zweistelligen, was kleinste Ungenauigkeiten bestraft. Ein Treffer in den Mittelpunkt der Scheibe wird mit 50 Punkten gewertet, einer im inneren Ring verdreifacht den Wert eines Feldes, was bis zu 60 Punkte bedeutet. Allerdings ist dieses Ziel nur 0,8 mal vier Zentimeter groß. Die Regeln sind einfach. Drei Pfeile gibt es pro Aufnahme. Zwei Spieler treten gegeneinander an, jeder hat 501 Punkte, die er mit so wenig Würfen wie möglich auf Null bringen muß. Wem das perfekte Spiel gelingt, also ein Neun-Darter, bekommt auch vom Gegner Beifall.

Perfekt inszenierte Spiele um stattliche Preisgelder

Unser Spiel am Pool beschreibt genau das Klischee, mit dem die FAZ einmal das Dartsspiel zu diskriminieren versuchte: „Fettleibige Pfeilewerfer, leichtbekleidete Damen, dazu trinkende Zuschauer.“ Nur, daß der Sportredakteur damit die Darts-Weltmeisterschaft im legendären Londoner Alexandra Palace meinte und daher mit Schmähkommentaren überzogen wurde.

Längst hat das Geschicklichkeitsspiel aus den britischen Pubs herausgefunden. Millionen Briten und inzwischen fast eine Million Deutsche sitzen gebannt vor ihren TV-Geräten, wenn die Weltmeisterschaften übertragen werden. Ein Trend, der seinen Höhepunkt noch längst nicht erreicht hat. Sieben Millionen aktive Dartsspieler soll es allein in Großbritannien geben. Dem Dachverband, der World Darts Federation, gehören mehr als 60 Nationen an. In Deutschland gibt es Landesverbände und diverse Ligen. Die Profis, die um stattliche Preisgelder spielen, sind seit 1992 in der Professional Darts Corporation (PDC) organisiert. Seit 2007 veranstaltet die German Darts Corporation eine eigene Turnierserie.

Die Spiele sind längst perfekt inszeniert. Es gibt Soundeffekte, Livescreen-Übertragung, Anheizer und Ansager, Fangruppen in Kostümen und jede Menge Bier als „Schmierstoff“. Hier treten die Legenden gegeneinander an, die schon mal 60 Jahre alt sind und wie der Nachbar von nebenan aussehen. Ein Werbeslogan für den Dartssport könnte lauten: „Er fördert die mentale Stärke, ist kostengünstig und ganzjährig allein oder mit Freunden zu betreiben.“ Überdies ist die Verletzungsgefahr selbst für die Profis äußert gering. Die Weltmeisterschaft 2017 endete am 1. Januar mit dem Sieg von Rob Cross, der Phil „The Power“ Taylor im Finale keine Chance ließ. Cross erhielt eine Prämie von 400.000 Pfund und wurde zum „besten Pfeilewerfer Hastings, seit König Harald II. einen von Wilhelm dem Eroberer 1066 ins Auge bekam“, kommentierte der Mirror. 

Auch bei uns am Pool treffen Glücksspieler wie ich auf Geschicklichkeitsspieler. Es ist die Kanadierin, die die Höchstpunktzahl erreicht. Als ich am nächsten Morgen heimlich üben will, stehen an der Wurflinie schon drei Russen mit Pfeilen und Wodkagläsern.