© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 05/18 / 26. Januar 2018

Der Flaneur
Lange Nacht
Paul Leonhard

Mit einem Flatterband sperrt ein großer Mann gut 100 Quadratmeter Flughafenfläche ab. Einsame eilige Reisende weichen mit ihren Rollkoffern dem plötzlichen Hindernis aus, drehen sich noch einmal um und gehen schulternzuckend weiter. Von den Bundespolizisten ist keiner zu sehen, also wird die Absperrung nicht mit einer Bombendrohung zusammenhängen.

Tut sie auch nicht. Es ist kurz vor Mitternacht auf dem Frankfurter Flughafen. Die große Abflugtafel kündigt für kurz nach vier Uhr die ersten Flüge des kommenden Tages an. Schließlich herrscht Nachtflugverbot. Die Flaschensammler laufen ihre Abschiedstour. Der Mann mit dem Flatterband fängt an zu wischen.

Eine Mittzwanzigerin kommt offenbar zu spät zum Dienst und wird zusammengestaucht.

Jeweils ein Dutzend gestrandeter Reisender bildet an den Sitzgruppen Wagenburgen aus Koffern und Rucksäcken, klappt Laptops auf. Lang ausstrecken kann man sich auf keiner der futuristisch anmutenden Sitzgruppen. Aber halt, einem Mann ist es gelungen, sich auf einer weißen Bank um die in sie eingelassenen Tischchen zu rollen. 

Ich drehe eine Runde durch den leeren Terminal. Nach der ersten halben Stunde grüße ich mich mit Leidensgefährten. Der zusammengerollte Mann schläft hartnäckig. Andere haben seine Position übernommen. Ich probiere es auch, dämmere ein, wache auf, wechsle die Seitenlage.

Gegen vier Uhr bekommt das Café gegenüber frische Ware. Obwohl es kaum Kundschaft gibt, bewegen sich die Mitarbeiter im Laufschritt. Eine Mittzwanzigerin kommt offenbar zu spät zum Dienst, denn sie wird zusammengestaucht. Kaum ist der Vorgesetzte weg, tratscht sie mit einer Schwarzen.

Ich hole mir einen Kaffee. Ein Lautsprecher knackt. Eine anonyme Frauenstimme meldet sich mit einem Sicherheitshinweis, erinnert daran, auf das Gepäck zu achten. Mit dem wärmenden Getränk ziehe ich mich in die Wagenburg zurück. Noch drei Stunden bis zum Abflug.