© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Zweierlei „Nazi“
Christian Vollradt

Normalerweise dürfte das, was im politischen Berlin zwischen Friedrich-Ebert-Platz, Wilhelm- und Dorotheenstraße passiert, nur sehr wenige Leute im gut 6.000 Kilometer entfernten Kampala interessieren. Und auch umgekehrt gilt: Was in Ugandas Hauptstadt geschieht, tangiert nur recht wenige deutsche Abgeordnete. 

Eine kleine Abweichung von dieser Regel betrifft die AfD-Fraktion. Unmittelbar nach der Bundestagswahl im September vergangenen Jahres hatte die stellvertretende deutsche Botschafterin in Uganda dem Fernsehsender New Vision TV ein Interview gegeben. Dabei zeigte sie sich vom Wahlergebnis und insbesondere vom Einzug der AfD ins Parlament erschüttert: „We have now Nazis in the German Bundestag“, sprach die Diplomatin ins Mikrofon der Nachrichtensendung „News Update“. 

In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der empörten AfD-Abgeordneten hatte das Auswärtige Amt seiner Mitarbeiterin faktisch noch den Rücken gestärkt. Es sei schließlich Aufgabe deutscher Diplomaten, „die Ergebnisse von Bundestagswahlen gegenüber den Medien im Gastland zu erläutern.“ Der von der stellvertretenden Missionsleiterin benutzte Begriff („Nazi“) sei „eine umgangssprachliche Umschreibung, die sich einer präzisen Übersetzung schon deshalb entzieht, weil es sich um ein deutsches Idiom handelt.“ Die Bundesregierung sehe „keine Veranlassung, diesen Begriff näher zu definieren.“ Im übrigen könnten ja auch noch gar „keine konkreten Personen oder Gruppen“ mit dieser Bezeichnung gemeint gewesen sein, da „der 19. Deutsche Bundestag zum gegebenen Zeitpunkt noch nicht konstituiert war“, hieß es in der Antwort der Bundesregierung.

Mit derlei Spitzfindigkeiten wollten sich die Betroffenen nicht abfertigen lassen. Mitte Januar stellten sie bei der Staatsanwaltschaft Berlin eine Anzeige wegen Beleidigung gegen die Diplomatin, da sie sich „durch die Äußerung persönlich diffamiert und in die Nähe des verbrecherischen NS-Regimes gerückt“ fühlen, so der Initiator der Strafanzeige, der Abgeordnete René Springer. Die Botschaftsangehörige habe ihre Dienstpflicht als Beamtin und insbesondere ihre Pflicht zur Unparteilichkeit verletzt. 

Doch auch gegen die Bundesregierung legen die Parlamentarier nach. In einer erneuten Kleinen Anfrage machen sie auf einen gewissen Widerspruch aufmerksam. Einerseits behauptete der Dienstherr der Diplomatin, bei ihrer Aussage („Nazis“) handle es sich um eine umgangssprachliche Umschreibung. Andererseits habe Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) im März vergangenen Jahres empört reagiert, als sein türkischer Amtskollege Mevlut Cavusoglu ähnliche Worte benutzte. Damals habe Gabriel „noch einmal sehr deutlich gemacht, daß sich Vergleiche mit der Nazizeit“ verbieten würden. Wie könne ein und derselbe historische Vergleich einmal harmlos und einmal empörend sein, fragen sich die Oppositionspolitiker. 

Vielleicht ist es ja entscheidend, wo etwas gesagt wurde. Berlin ist schließlich nicht Kampala. Und offenbar auch – noch – nicht Ankara.