© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Ein Konstrukt mit erheblichen Freiräumen
EU-Währungsfonds: Die Nationalstaaten verlieren Macht an die EU-Zentrale / Neue Finanzierungsinstrumente
Dirk Meyer

Anläßlich des 55. Jahrestags des Élysée-Vertrags kündigten Angela Merkel und Emmanuel Macron einen neuen Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit an. Man wolle damit „gemeinsam Sicherheit, Frieden und Entwicklung fördern“ und sich „mit Entschlossenheit dafür einsetzen, europäische Antworten auf die Herausforderungen der unkontrollierten Migration zu finden“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung der Bundeskanzlerin und des französischen Präsidenten. Es werden sogar globale Ansprüche angemeldet: „Gemeinsam streben wir nach Nachhaltigkeit und dem Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft in unseren Ländern, der Europäischen Union und weltweit.“

Durch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik solle die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und die „wirtschaftliche, fiskalische und soziale Konvergenz“ befördert werden. Ein Europäischer Währungsfonds (EWF) wird hingegen nicht direkt gefordert – aber auch nicht ausgeschlossen. Das war aber auch nicht nötig, denn Macht und Herrschaftswissen gekoppelt mit Intransparenz kennzeichnen das Vorgehen der EU-Kommission in ihrem im Dezember 2017 vorgelegten Plan „Zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion Europas“ (JF 51/17).

Kommt ein dauerhaftes Transfer- und Kreditsystem?

Es ist das mehrfach bewährte Muster: Schemenhaft bereits im „Bericht der fünf Präsidenten“ (2015 unter Mitwirkung von Martin Schulz als damaligem Präsidenten des EU-Parlaments) umrissen, geeignet um kritische Stimmen als immer dieselbe Litanei für das Publikum leerlaufen zu lassen; dann konkretere Umsetzungen terminlich in einem Fahrplan festgelegt, in dem aber wiederum Freiräume für zukünftige „integrative“, sprich umverteilende Anpassungen offengehalten werden. Gerade diese Wiederholungen in Kombination mit begrifflichen Vieldeutigkeiten und Offenhaltungen lassen das öffentliche Interesse erlahmen.

So auch geschehen im Plan der Umwandlung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen EWF. Hintergrund ist zum einen, daß der Internationale Währungsfonds (IWF) als Kreditgeber und technischer Berater in der Programmüberwachung zukünftig nicht mehr zur Verfügung stehen will und die Europäische Zentralbank (EZB) ebenfalls einen Rückzug anstrebt. Zum anderen sind die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den Mitgliedern der Währungsunion so gravierend, daß ein dauerhaftes und aufgestocktes Transfer- und Kreditsystem als Notlösung in Ermangelung einer funktionsfähigen Fiskalunion unvermeidlich erscheint, soll die Währungsunion nicht mittelfristig auseinanderbrechen.

Die geplante Umwandlung des ESM in einen EWF hat zwei Aspekte – einen formalrechtlichen und einen ökonomisch-funktionalen. Juristisch strebt die Kommission einen Wechsel vom zwischenstaatlichen Völkerrecht (ESM-Vertrag) in supranationales Gemeinschaftsrecht (EWF als EU-Institution) an. Dieser scheinbar belanglose Rechtswechsel hat schwerwiegende Konsequenzen. Die Nationalstaaten wären nicht mehr allein Herren über ein Stammkapital von 700 Milliarden Euro (Bareinlage: 80 Milliarden Euro/Garantien 620 Milliarden Euro) und von einem möglichen Kreditvolumen in Höhe von 500 Milliarden Euro (derzeit ausgereicht 273 Milliarden Euro).

Zum Vergleich: Der IWF kann maximal Kredite von zirka 360 Milliarden Euro bereitstellen (derzeit sind etwa 80 Milliarden Euro vergeben). Zukünftig würden die Hilfsprogramme von der Kommission vorgeschlagen, sodann vom EU-Ministerrat beschlossen. Das Ganze würde zudem unter der Rechenschaftspflicht gegenüber dem EU-Parlament und unter Aufsicht durch den Europäischen Finanzminister stehen. Die Kommission und das EU-Parlament würden mangels Gleichheit der Stimmrechte als ein Vielvölkerparlament Einfluß auf nationalstaatliche Mittel nehmen.

Allenfalls der Zeitverbrauch für diesen Entscheidungsprozeß stellt die Wirksamkeit in Frage. Doch auch hier ist bereits eine Lösung vorgesehen: Vorsorgliche Kreditlinien und eine teilweise Abkehr vom Einstimmigkeits-/Vetoprinzip hin zu einer qualifizierten Mehrheit von 85 Prozent der nach Kapitalanteilen gewichteten Stimmen in den EWF-Gremien. Deutschland (26,7 Prozent), Frankreich (20,2 Prozent) und auch Italien (17,8 Prozent) könnten allerdings weiterhin Beschlüsse verhindern.

Ausfallfonds für kommende Bankenabwicklungen?

Der zweite Aspekt betrifft die Erweiterung der Funktionen des EWF. Bislang konnte der ESM nur für Liquiditätshilfen in Anspruch genommen werden. Diese waren gemäß Artikel 136 Absatz 3 AEUV an drei Voraussetzungen gebunden: Gefährdung der Finanzstabilität der Eurozone, Solvenz des kreditnehmenden Landes und ein strenges Auflagenprogramm. Dies entspricht in etwa der Konstruktion des IWF, der aber strengere Anforderungen an die Schuldentragfähigkeit und die wirtschaftspolitischen Auflagen von Krisenstaaten legt, was letztlich zur Nichtbeteiligung am dritten Griechenland-Hilfsprogramm führte. Zukünftig soll der EWF auch als Letztsicherung – sprich Ausfallfonds – für den Bankenabwicklungsfonds (SRF) dienen.

Dieser SRF soll 2024 mit 55 Milliarden Euro vollständig gefüllt sein, um im Falle von Bankenkrisen anstelle von Liquiditätshilfen der EZB selbst aushelfen zu können. Gemessen an der Bilanzsumme der zehn größten europäischen Banken hat dieser Feuerwehrfonds jedoch nur einen Anteil von 3,8 Prozent. Insofern dürfte eine Inanspruchnahme des EWF als Backstop für den Bankenabwicklungsfonds bei einer größeren Bankenkrise unabdingbar sein. Ob die vorgesehenen Überbrückungskredite dann rückzahlbar sein werden, dürfte nach den italienischen Bankenrettungen des letzten Jahres fraglich sein.

Dann spricht die Kommission von weiteren Etat- und Finanzierungsinstrumenten, die unter dem Dach des EWF errichtet werden könnten: (a) ein Konvergenzfonds für finanzielle und technische Hilfen beitrittswilliger Länder; (b) ein Stabilisierungsfonds (Rainy-Day-Fonds) für unverschuldete wirtschaftliche Notlagen; (c) ein Reform-Unterstützungsfonds, der die kurzfristigen finanziellen Folgen langfristig positiv wirkender Reformen unterstützen helfen soll. Eine Kombination dieser Hilfezwecke im EWF weicht die strengen Zugangskriterien auf.

Mit dem EWF in dieser Form resultiert eine Verschiebung auf drei Ebenen: Die Nationalstaaten verlieren Macht an die EU-Zentrale; die kreditfinanzierte, bündische Notstandsfinanzierung gegen Auflagen mutiert zu endgültigen Transferleistungen aus Familienbanden; statt Regelbindung kommt es zu politischen Entscheidungen auf Basis einer Pseudo-Demokratisierung. Martin Schulz kommt damit seiner Idee der Vereinigten Staaten von Europa bis 2025 jedenfalls ein Stück näher.





Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.





Vergleich zwischen ESM und EWF

ESM

? Notfallfonds

? Stammkapital 700 Mrd.

? Kapitalanteil D 26,9 Prozent

? Kreditvolumen 500 Mrd. Euro

? Bedingungen (Art. 136 Abs. 3 AEUV)

 Gefährdung der Finanzstabilität

 Schuldentragfähigkeit ist gewährleistet

 strenges Auflagenprogramm

? Gouverneursrat aus EU-Finanzministern entscheidet

? Völkerrechtlicher Vertrag der Eurostaaten

Gefahren

? Politisierung statt Regelbindung

? Zentralisierung/Machtzuwachs der EU-Kommission

? Notfallfonds (Kredite) wird zum Umverteilungsfonds

 (Transfers)

EWF

? Überführung des ESM in das EU-Recht

 (700 Mrd. Euro) in:

 Notfallfonds

 Letztsicherung für Bankenabwicklungsfonds

? Einbindung weiterer Fonds möglich

 Strukturfonds für Reformanreize

 (300 Mrd. Euro)

 Konvergenzfonds für Beitrittsländer

 Rainy-Day-Fonds für wirtschaftliche Krisen

 (100 Mrd. Euro)

? Gouverneursrat aus EU-Finanzministern

 entscheidet