© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Auf die Flucht der Leser reagieren
Einst konservative Blätter versuchen, aufgegebenen Boden nach rechts wieder gutzumachen
Ronald Berthold

Als Angela Merkel 2015 die Grenzen für Millionen illegaler Einwanderer öffnete, verloren auch die meisten Medien jegliches Limit. Sie bejubelten die Politik der Bundeskanzlerin auf eine Weise, die journalistische Regeln verließ. Gleichzeitig mußten sich Leser, die die Flüchtlingspolitik kritisch sahen, von ihren Zeitungen diffamieren lassen.

Wer darauf hinwies, daß anders als dargestellt vor allem männliche junge Muslime ins Land strömten oder gar anzweifelte, ob wirklich fast ausschließlich hochqualifizierte Fachkräfte nach Deutschland kämen, wie Politik und Medien behaupteten, landete in der rechtsextremen Ecke. „Besorgte Bürger“ wurde zum Synonym für alte und neue Nazis.

Unter dieser Art von Journalismus litten vor allem die als konservativ geltenden Zeitungen. Ihre Leser kehrten ihnen massiv den Rücken. Die Welt, die Frankfurter Allgemeine und die Bild verloren seitdem während einer ohnehin negativen Entwicklung weit überdurchschnittlich viele Abonnenten und Käufer. Nun versuchen diese Blätter teilweise eine Umkehr, nehmen kritische Stimmen auf und berichten über die Schwierigkeiten der unkontrollierten Zuwanderung, vor allem über die explodierende Gewaltkriminalität. Doch um den rapiden Vertrauensverlust wettzumachen, scheint es zu spät.

Die versuchte Umkehr ist bisher wenig erfolgreich

Am schlimmsten erwischte es die einst stramm konservative Bild, die es mit ihrer „Refugees welcome“-Kampagne inklusive Aufklebern und Ansteckern am weitesten trieb. Seit Beginn der Flüchtlingskrise verlor sie fast jeden dritten Käufer: 628.641 Leser kehrten dem Boulevard-Blatt von Sommer 2015 bis Ende 2017 den Rücken. Die Vermutung, daß einige der als „Ausländerhasser“ verunglimpften Kunden das Weite gesucht haben könnten, liegt nahe.

Der für die Pro-Flüchtlingspropaganda verantwortliche Chefredakteur Kai Diekmann mußte nach insgesamt 17 Jahren als Chefredakteur seinen Hut nehmen. Blieb er zunächst noch ein Jahr Herausgeber der Bild-Gruppe, so verlor er im Januar 2017 auch diese Aufgabe: Der 53jährige verließ den Axel-Springer-Verlag komplett. Doch die publizistische und wirtschaftliche Katastrophe, die Diekmann mit seiner blinden Merkel-Folgsamkeit angerichtet hat, konnte auch Nachfolger Julian Reichelt nicht mehr ausgleichen, der nun vermehrt die Flüchtlingskriminalität ins Blatt hebt. Von mehr als 2,1 Millionen Mitte 2015 ist die verkaufte Auflage auf 1,5 Millionen eingebrochen.

Noch nie in der deutschen Geschichte hat eine Zeitung in so kurzer Zeit so viele Leser verloren. Ein zweifelhafter Rekord, den sich Diekmann zuschreiben lassen muß. Wie schwer es ist, flüchtende Kunden mit einer Trendumkehr zurückzugewinnen, merkt nun Reichelt. Insofern erlebt die Bild ihre ganz eigene Flüchtlingskrise.

Beinahe ebenso arg erging es der auch aus dem Hause Springer stammenden und für ihre konservative Kundschaft bekannten Welt. Ihr kündigte im selben Zeitraum jeder vierte Leser die Treue – ebenfalls ein noch nie dagewesener Einbruch beim Print-Flaggschiff des Medienkonzerns. Heute abonnieren und kaufen deutschlandweit nur noch 86.578 Menschen diese Zeitung.

Auch die Welt-Redaktion hat offenbar kapiert, woran der Absturz liegt und ihre Flüchtlings-Berichterstattung um beinahe 180 Grad gedreht. Autoren wie Stefan Aust und Dirk Schümer schreiben regelmäßig über das, was die Kritiker bereits vor zwei Jahren feststellten. Doch auch hier erweist sich der Leser als scheues Wesen. Einmal verjagt, kehrt er nicht so ohne weiteres zurück. Allerdings scheint die neue Blattlinie zumindest für etwas Stabilität zu sorgen. Vom dritten zum vierten Quartal 2017 ging die Gesamtauflage zwar zurück, die Zeitung konnte aber ihre Abos um mehr als 1.200 Exemplare steigern (+ 1,6 Prozent).

Der Dritte im Bunde, die Frankfurter Allgemeine, ist ebenfalls in Bedrängnis geraten. Seit Ausbruch der Flüchtlingskrise gingen knapp 29.000 Käufer von Bord – ein Minus von 12,5 Prozent. Obwohl auch diese Zeitung lautstark im Merkel-Chor mitsang und hin und wieder nicht unerhebliche Fakten unterschlug, versuchte Herausgeber Berthold Kohler in der Hochzeit der journalistischen Flüchtlingseuphorie mit kritischen Leitartikeln gegen den Strich zu bürsten. Ob das den Absturz im Vergleich zu Bild und Welt etwas abgefedert hat, läßt sich nur spekulieren. Am selbstverschuldeten Niedergang dreier einst konservativer Zeitungen gibt es dagegen kaum Zweifel.