© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 06/18 / 02. Februar 2018

Faules Laub im Herbstwind
Auf der Suche nach einer Spiritualität Europas
Thorsten Hinz

Der Filmemacher Rüdiger Sünner ist vor zwanzig Jahren bekannt geworden durch den Film „Die schwarze Sonne“, der sich mit dem Okkultismus und der Gralssuche der Nationalsozialisten beschäftigt. Danach wurde keines seiner Filmprojekte mehr öffentlich gefördert, entsprechend schmal waren die Budgets. So muß das Medium Buch die verhinderte Filmarbeit kompensieren.

Sünner zitiert eingangs Sätze, die der frühere Präsident der Europäischen Kommission, Jacques Delors, 1992 geäußert haben soll: „Wenn es uns in den kommenden zehn Jahren nicht gelingt, Europa eine Seele zu geben, es mit einer Spiritualität und einer tieferen Bedeutung zu versehen, dann wird das Spiel zu Ende sein.“ Inzwischen sind wir in der Nachspielzeit. Was das Christentum, die Architektur und die Geschichte den müden Europäern an spiritueller Wegzehrung nicht mehr vermitteln können, sollen nun Esoterik und romantische Naturphilosophe liefern. Stonehenge statt Notre-Dame, Peterskirche und Escorial. Zunächst kehrt Sünner aber auf der Wewelsburg bei Paderborn ein, die Reichsführer SS Heinrich Himmler sich als Weihestätte und Gralsburg eines elitären SS-Ordens ausbauen ließ. Die Rede kommt auch auf die Magie der Speerschen Lichtdome. 

Der Mißbrauch der Nationalsozialisten am Mythos und an der Esoterik wird im Buch wettgemacht durch die esoterischen Interessen des aus Schweden stammenden UN-Generalsekretärs Dag Hammerskjöld, der 1961 bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz in Afrika ums Leben kam. Weitere Gewährsleute sind der Tiefenpsychologe C. G. Jung, der Anthroposoph Rudolf Steiner, die Theologin Dorothee Sölle mit ihren Ausflügen in die Mystik und der Holocaust-Überlebende Paul Celan, der Dichter der „Todesfuge“. 

Ob das hilft, der erloschenen europäischen Seele neues Leben einzuhauchen? Ein dezisionistischer Willensakt wird dazu nicht ausreichen. Der Buchtitel spielt an Stefan Georges Gedicht „Geheimes Deutschland“ an: „Daß was meist heut euch wert dünkt / Faules Laub ist im Herbstwind“. Die Rettung muß daher aus ganz anderen Sphären kommen: „Wunder undeutbar für heut / Geschick wird des kommenden Tages“.

Rüdiger Sünner: Geheimes Europa. Reisen zu einem verborgenen spirituellen Erbe. Europaverlag, Berlin, München 2017, gebunden, 384 Seiten, 24,80 Euro