© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Ein Nachspiel der Finanzkrise
Bankberatung: Die schärferen Regelungen der Mifid II sollen Anlageempfehlungen transparenter machen
Carsten Müller

Nie wieder Lehman-Zertifikate! Der Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers 2008 im Zuge der Finanzkrise schockte nicht nur Anleger, sondern auch Aufsichtsbehörden. Allein deutsche Anleger verloren durch den folgenden Wertverlust der von Lehman ausgegebenen Zertifikate rund eine Milliarde Euro. Sparern waren diese Zertifikate durch Berater empfohlen worden, ohne daß die Risikoneigung der Kunden ausreichend überprüft und berücksichtigt wurde. Das sollte sich der EU-Kommission nach nicht wiederholen. Allerdings dauerte die Einführung zehn Jahre, bis zum 3. Januar dieses Jahres. Seitdem gilt nun für das Anlageberatungsgeschäft der Banken die neue EU-Finanzmarktrichtlinie Mifid II (Markets in Financial Instruments Directive).

Die EU verfolgt damit den Anspruch, Privatinvestoren besser vor Anlageempfehlungen zu schützen, die nicht den persönlichen Bedürfnissen entsprechen. Außerdem sollen die Kosten, die mit dem Kauf und Verkauf von Wertpapieren zusammenhängen, transparenter und vergleichbarer dargestellt werden. Allerdings wäre es nicht die EU, wenn sie nicht die angemahnte Transparenz beim Gesetzeswerk selbst schon vermissen ließe. Alle EU- und nationalen Gesetzestexte und Bestimmungen zu Mifid II füllen bereits rund 20.000 Seiten. Was geradezu dazu auffordert, daß die gewieften Rechtsabteilungen der Banken gezielt nach Schlupflöchern suchen, um die kostspielige Umsetzung der Regelungen abzumildern. Kaum ein Sparer kann sich selbst einen geeigneten Überblick verschaffen.

Zu den Neuerungen der Finanzmarktrichtlinie gehört, daß das bisher obligatorische Beratungsprotokoll bei einer Anlageberatung wegfällt. An seine Stelle tritt die sogenannte Geeignetheitserklärung. Darin muß der Berater dokumentieren, warum er das empfohlene Produkt hinsichtlich der Risikotragfähigkeit und der Anlageziele des Kunden für geeignet hält. Damit will der Gesetzgeber Falschberatungen verhindern, die aus reinen Provisionserwägungen erfolgen.

Allerdings wenden Kritiker ein, daß die Banken aus Haftungserwägungen zukünftig zu restriktiv vorgehen könnten und es am Ende nicht zu mehr Verbraucherschutz, sondern zu mehr Bevormundung des Bankkunden kommt. Für das telefonische Beratungsgespräch gibt es eine zusätzliche Dokumentationspflicht.

So müssen alle Gespräche aufgezeichnet und mindestens fünf Jahre aufbewahrt werden, um in späteren Rechtsstreitigkeiten als Beweis herangezogen zu werden. Auch hier fürchten Kritiker, daß sich besonders kleine Institute wie Sparkassen- und Volksbankfilialen zumindest aus der telefonischen Anlageberatung zurückziehen werden, da die Kosten der nötigen IT-Infrastruktur inklusive Speicherkapazitäten zu hoch sein könnten.

Das Provisionsgeschäft wird nicht komplett verschwinden

Ein großes Thema der neuen Regelung ist auch die Kostentransparenz. Hier müssen die Banken bei den von ihnen verkauften Produkten zukünftig alle anfallenden Gebühren, Provisionen und andere mit einbezogenen Kosten ausweisen. Mit Mifid II soll das provisionsgetriebene Anlagevermittlungsgeschäft möglichst unterbunden werden. Denn bislang war es in der Branche üblich, Produkte den Kunden zu empfehlen, die hohe Provisionen einbrachten. Dafür gab es von den Zentralen auf die Anlageberater großen Druck durch entsprechende Provisionsvorgaben.

Allerdings wird das Provisionsgeschäft nicht komplett verschwinden. Denn dieses kann weiterhin erlaubt werden, wenn es nach Ansicht der Aufsichtsbehörden zu einer Qualitätsverbesserung der Beratung beiträgt. Vor allem der deutsche Gesetzgeber hatte bei dieser Regelung die Sparkassen und Volksbanken mit ihrem ausgedehnten Filialnetz im Blick, das jetzt als Kriterium einer hohen Qualität bewertet wird.

Um die gewollte Transparenz bei den Kosten herzustellen, müssen die Banken den Kunden ein neues einheitliches Informationsblatt aushändigen, mit dem dieser das empfohlene Produkt auch mit anderen Produkten vergleichen kann.

Und noch eine Neuerung bringt Mifid II. Denn die Entwickler von Finanzprodukten, in der Hauptsache Banken und Fondsgesellschaften, müssen nun vor der Produktzulassung zum allgemeinen Handel weitere Informationen bereitstellen. Konkret heißt dies, daß die Emittenten ganz genau die Kundengruppen, den sogenannten Zielmarkt, definieren müssen, an die verkauft werden darf. Es gibt auch die Möglichkeit zur Definition eines „negativen“ Zielmarktes, also die Kunden, an die nicht verkauft werden darf. In der Praxis dürfte dies dazu führen, daß Banken sich akribisch an diese Einstufungen halten werden – egal ob der Kunde etwas anderes wünscht und klarmacht, daß er die Risiken selbst einschätzen kann. Manche sehen in den neuen Zielgruppen entsprechend weniger einen verbesserten Verbraucherschutz, sondern mehr eine weitere Gängelung der Anleger.

Die ersten Wochen nach Einführung von Mifid II haben bereits gezeigt, daß manche Befürchtungen nicht ganz ungerechtfertigt sind. So wird davon berichtet, daß Zehntausende von Fonds und Zertifikaten nicht handelbar waren, weil die entsprechenden Zielmarkt-Informationen der Emittenten noch nicht vorlagen. Außerdem berichten bereits Kunden darüber, daß ihnen der Kauf von Wertpapieren versagt wurde, weil sie als ungeeignet klassifiziert wurden. Wie sich die neuen Vorschriften generell auf das Beratungsgeschäft und den Wertpapierhandel auswirken, werden allerdings erst die nächsten Monate tatsächlich zeigen. Wobei natürlich weiterhin gilt: Wer auf die Bankberatung verzichten kann, ist weiterhin in seinen Anlageentscheidungen unabhängig.

EU-Richtlinien MiFID I und MiFID II: ec.europa.eu





Neue Richtlinien zum Anlagenverkauf

Anlageprodukte wie Fonds müssen seit Januar ihre Art und Zielsetzungen erklären, indem sie offenlegen, an welche Anleger (Privatkunde, professioneller Kunde) sie sich richten, auf welchen Anlagehorizont (kurz-, mittel-, oder langfristig) sie abzielen und welcher Risikoklasse (Skala von 1 [sicherheitsorientiert; sehr geringe Renditeerwartung] bis 7 [sehr risikobereit; höchste Renditeerwartung]) sie angehören. Außerdem muß der Broker abfragen, welche Kenntnisse ein potentieller Kunde in der entsprechenden Risikokategorie hat. Die Kenntnisse des Kunden werden anhand der Transaktionszahlen oder der Handelserfahrung in Jahren, Kategorien wie „Basis-Kenntnisse, erweiterte Kenntnisse, umfangreiche Kenntnisse, spezielle Kenntnisse“ zugeordnet, wonach eine Freigabe für die jeweilige Anlageklasse erfolgt. Auch muß die finanzielle Verlusttragfähigkeit der Anleger eingeschätzt und überprüft werden, ob dem Anleger ein Kapitalschutz wichtig ist. Die Bedürfnisse und Ziele des Kunden, das heißt, ob der Fonds der Altersvorsorge oder der allgemeinen Vermögensbildung oder als nachhaltige Geldanlage dient, sollen berücksichtigt werden.