© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Farbenpracht im Südwesten
Inspirator gegenreformatorischer Bildpropaganda: Die Große Landesausstellung Baden-Württemberg zeigt in der Staatsgalerie Stuttgart Werke des Meisters von Meßkirch
Felix Dirsch

Seine Identität ist schwer zu bestimmen. Unbekannt war er zu seinen Lebzeiten jedoch nicht. Der aufgrund seines Hauptwerkes „Meister von Meßkirch“ genannte Künstler – immerhin schaffte es seine Werkstatt, die nicht kleine Kirche St. Martin in Meßkirch fast komplett auszustatten! – wirkte in einer ausgedehnten Region: Vom Bodensee bis in den Raum Stuttgart lassen sich Aufträge nachweisen. Namhafte Adelsgeschlechter wie die Grafen von Zollern und Meßkirch betätigten sich als Arbeitgeber. Mäzen schlechthin war freilich der Graf Gottfried Werner von Zimmern, dessen Wappen sich auf Altartafeln des Künstlers findet.

Angesichts der Meisterwerke des Anonymus und seiner Bedeutung für den schwäbischen Raum verwundert es ein wenig, daß die erste monographische Ausstellung über ihn bis zum fünfhundertjährigen Gedenken an den Lutherschen Thesenanschlag gedauert hat. Dafür ist die Präsentation um so eindrucksvoller: 188 Exponate von 57 Leihgebern aus elf Ländern sind zu bestaunen. Erstmals sind Gemälde und Graphiken gemeinsam zu sehen. Zentral ist die Rekonstruktion der einstigen Ausstattung von St. Martin in Meßkirch. Der Besucher muß zwar eine etwas längere Strecke als gewohnt zurücklegen, um in den Säulensaal der altehrwürdigen Institution zu gelangen, jedoch wird er für die Mühe belohnt: Eine schöne Kulisse eröffnet sich, vor deren Hintergrund der rekonstruierte Altar von Meßkirch um so eindringlicher hervortritt.

Im Dienst katholischer Ausdrucksformen

Viele der farbenprächtigen Bilder des Meisters entstanden ab den 1520er Jahren, als der Sturm der Neugläubigen alle Bereiche der Kultur veränderte. Aus späterer Perspektive bewertet, mußte der Umbruch kein Nachteil sein für einen Maler, der seine Schaffenskraft in den Dienst katholischer Ausdrucksformen stellte. So sind die Konturen im Unterschied zum ikonographischen Kontrastprogramm, etwa zur Welt Lucas Cranachs, offenkundig. Der Altgläubige schmückt die herkömmlichen Motive der Heilsgeschichte wunderbar aus. Man bestaune lediglich seine Gestaltung der Anbetung des Jesus-Kindes durch die Heiligen Drei Könige, wie sie auf der Mitteltafel des ehemaligen Hochaltarretabels von St. Martin in Meßkirch gezeigt wird. Der Gold- und Kleiderluxus ist ein Augenschmaus, damals wie heute.

Ebenso erfreut die Betrachtung der Bilder „Kalvarienberg“ und „Grablegung Christi“. Die detailgetreue Vorgehensweise überwältigt. Die Farben erwecken auch schwer zugängliche Inhalte zum Leben. Fast scheint es, als wird eine Insel verkörpert, auf der das zu sehen ist, was ringsherum mehr und mehr verschwindet: Die herkömmlichen Wahrheiten werden leuchtend und wie selbstverständlich dargestellt – fast so, als gäbe es nicht deren massive Leugnung. Der Wink mit dem Zaunpfahl lautet: Es gibt nichts zu erklären, lieber Betrachter, du mußt glauben, was verkündet wird! 

Ganz anders die lutherischen Konkurrenten: Bei Cranach tauchen plötzlich Auszüge von Bibeltexten auf. Für den Meßkircher Meister ein Ding der Unmöglichkeit! Die Bilder Cranachs wirken wie bloße Fußnoten zum Wort Gottes. Der pädagogisierende Grundzug, der sich im Gefolge des Siegeszuges rasch durchsetzt, ist mit Händen zu greifen. Nichts gilt mehr – nur das, was geschrieben steht. Der Sinnesglanz muß verkopft-puristisch daherkommenden Zielsetzungen weichen. Anders als beim Meister von Meßkirch ist auf diesen Bilderzyklen ein propagandistischer Grundzug offensichtlich: Herkömmliche Glaubensinsignien wie die Papstkrone werden auf dem Gothaer Altar, den der württembergische Herzog Ulrich in der Füllmaurer-Werkstatt anfertigen ließ, in den Kontext der Apokalypse gestellt und somit Teil der Alltagspolemik.

Hypothesen zu seiner Herkunft bleiben umstritten

Der konfessionelle Grundzug ist auch an den ikonischen Inhalten zu erkennen. Im Gegensatz zu den lutherischen Zunftgenossen liegen dem Meßkircher Meister Mariengemälde am Herzen. Den im Auftrag von Gottfried Werner von Zimmern geschaffenen Wildensteiner Altar (auf der gleichnamigen Burg in der Nähe von Meßkirch) ziert ein Marienbild, auf dem die Gottesmutter von 14 Heiligen umgeben ist. Der Künstler konnte zwar die sich wie ein Lauffeuer verbreitenden neuen Gedanken nicht aufhalten; jedoch brachte er wohl nicht wenigen Menschen die Vorstellung nahe, daß die alten kulturellen Grundlagen ungeachtet der neuen Herausforderungen nicht obsolet sind.

Zu den großen Aufgaben kunstgeschichtlicher Arbeiten seit der Wiederentdeckung im frühen 19. Jahrhundert zählen die Versuche, Antworten auf die Fragen nach der Person des Meisters zu präsentieren. Auch dazu liefert die Ausstellung einige Hinweise. Keine der gängigen Hypothesen bringt Licht ins Dunkel seiner Herkunft. Schon seit einiger Zeit liegt ein Fokus der Forschungen auf Balingen und der Familie Weiß. Selbst wenn die Annahme richtig ist: Umstritten ist, welche Werke dem Vater zuzuschreiben sind und welche den Söhnen. 

Auffallend ist auch, wie sehr der schwäbische Meister in die Szene seiner Zunft integriert war. Einige seiner Methoden übernahm er von Kollegen, etwa von Hans Baldung Grien. Insgesamt jedoch wird in der Ausstellung die beinahe singuläre Rolle des der traditionellen Kirche Verpflichteten deutlich: Wenn man das Erbe des Meisters in Augenschein nimmt, darf er als früher Vertreter der katholischen Reform gelten, die er mit künstlerischen Mitteln in Angriff nahm. Von neueren Tendenzen in seiner Zeit unbeeindruckt, dienten ihm Bilderform und Farbe als Ausdrucksweisen der Verherrlichung Gottes und seiner Kirche. Die Bedürfnisse der Gläubigen kamen dabei keineswegs zu kurz, wie die Anhänger Luthers meinten. 

Die Ausstellung „Der Meister von Meßkirch“ ist bis zum 2. April in der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Str. 30-32, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 07 11/ 470 40-0

Der Katalog kostet im Museum 39,90 Euro.

 www.staatsgalerie.de