© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Dorn im Auge
Christian Dorn

Hurra, wir rekapitulieren!“ – das Motto, das eine eigene Kolumne wert wäre, kommt mir dieser Tage häufiger in den Sinn. So etwa bei der wohlfeilen Empörung der Lückenpresse über den Terminus „alternativer Fakten“ – als könne nicht auch ein Glas zugleich halb voll und halb leer sein. Zum 75. Jahrestag der Schlacht um Stalingrad erklärt der Moderator des Morgenmagazins im Deutschlandfunk den Wehrmachtsbericht, wonach die 6. Armee einer „Übermacht“ und „ungünstigen Verhältnissen erlegen“ sei, als klassische Fake News der NS-Propaganda: Schließlich habe Hitler-Deutschland einen Angriffskrieg geführt! Währenddessen führt der faktische Staatsfunk einen Angriff auf die Logik. 


Da flüchten wir doch lieber ins Kino, vorerst jedoch ins Kopfkino, solange noch Dieter Kosslick die Berlinale in einen „Toten Teppich“ verwandelt, so Klaus Lemke. Dabei nimmt es der „ewige Freibeuter des deutschen Kinos“ mit Humor und nennt den Berlinale-Chef ironisch seinen „Bewährungshelfer“. Unter dessen Ägide wurde auch Lemkes jüngstes Werk „Bad Girl Avenue“ abgelehnt, wie schon zwölf andere Filme in den letzten dreizehn Jahren – angesichts der Absage für den späteren Oscar-Gewinner „Das Leben der anderen“ schon formal eine Auszeichnung. Dabei ist „Bad Girl Avenue“ (siehe Youtube-Trailer) geradezu prophetisch in Anbetracht des skandalisierten Gomringer-Gedichtes „avenidas“ und der aktuellen MeToo- und Sexismus-Hysterie. Denn sein Film handele bereits nach der Debatte, wenn die Frauen dominieren und aus „Me Too“ ein „Me Dry“ werde, also alle auf dem Trockenen sitzen. O-Ton Lemke: „Die Females bearbeiten die Männer zu verheulten Mi-

möschen, um sie dann nach ihrem Geschmack wieder auswildern zu können.“


Unterdessen durchquert der Hades mein iPhone: Nach Kurator Peter Lang, Filmlegende Peter Berling, Alpha-Journalist Thomas Leif nun auch Selbstdarsteller Rolf Zacher, der nicht zuletzt in Lemkes „Liebe, so schön wie die Liebe“ brillierte, der 1971 bei den Filmfestspielen von Venedig den Auswahlpreis der Jury erhielt (in voller Länge im Internet unter dem Link: https://youtu.be/OKEEjX2-bhI ). Daß das Original Zacher zeitlebens „zappelig und ungeduldig“ (Tagesspiegel) war, belegt auch die Anekdote seiner verpaßten Weltkarriere, die mir noch im Ohr ist: Als ihn „der Meister“ Fellini extra hatte anreisen lassen, um ihn als Schauspieler zu gewinnen, reiste Zacher abrupt wieder ab – nicht bereit, auf Fellini zu warten, der noch mitten im Dreh steckte.