© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Der laute Wal mit seinen tödlichen Aalen
Moskaus Antwort auf die US-Nautilus: Vor sechzig Jahren wurde das erste sowjetische Atom-U-Boot in Dienst gestellt
Jürgen W. Schmidt

Im Jahr 1952 gingen die USA an die Kiellegung ihres ersten atomaren U-Bootes „Nautilus“. Dem sowjetischen Nachrichtendienst blieb dieser Umstand nicht verborgen. Stalin beauftragte noch im selben Jahr den „Minister für mittleren Maschinenbau“ (Atomminister) Wjatscheslaw Malyschew, den Bau eines Atom-U-Bootes einzuleiten. Jenes erste sowjetische Atom-U-Boot mit taktischer Nummer K-3, bekannt geworden als „Leninski Komsomolez“, war mit seiner walähnlichen Form im Gegensatz zu der äußerlich noch einem konventionellen dieselelektrischen U-Boot ähnelnden „Nautilus“ das erste echte Marinefahrzeug für monatelange autonome Unterwassermanöver. Allerdings wurde das U-Boot von „Landratten“ im Ministerium für mittleren Maschinenbau entworfen und erregte, als U-Boot-Spezialisten der sowjetischen Flotte das fast abgeschlossene Projekt erstmals in Augenschein nehmen durften, blankes Entsetzen. 

So hatte man die Plätze für den Kommandanten und den Ersten Offizier mit Blickrichtung zum Heck des Schiffes konzipiert, was unweigerlich zur ständigen Verwechslung von Backbord und Steuerbord bei der Kommandogabe geführt hätte. Schlimmer noch verzichtete man im ursprünglichen Projekt des Schiffes auf den Anker und eine zusätzliche dieselelektrische Antriebsmöglichkeit, weil sich das U-Boot unter Wasser nur mit Hilfe seiner zwei Atom-Reaktoren und über Wasser mittels Schlepperhilfe bewegen sollte. Die vorgesehene Bewaffnung des U-Bootes mit einem einzigen Monstertorpedo von 28 Meter Länge und einem Durchmesser von anderthalb Metern, welcher eine Wasserstoffbombe großer Mächtigkeit befördern sollte, erregte gleichfalls das Entsetzen der sowjetischen Marineführung. 

Dieser vom Kurs her programmierbare Torpedo sollte vom U-Boot an den Zugängen westlicher Marinebasen abgeschossen werden und die Basis samt der darin befindlichen Schiffe pulverisieren. Mühevoll bewies man der politischen Führung, daß es überhaupt nur zwei westliche Marinebasen gab, die sich für dieses utopische Einsatzkonzept eigneten. Letztlich wurde das U-Boot mit „normalen“ Torpedos, einige davon mit einer Kernladung versehen, ausgestattet. 

Besatzung war radioaktiver Strahlung ausgesetzt

Bei den Erprobungsfahrten 1958 zeigte die K-3 unerwartet gute technische Leistungen. Schon mit 70 Prozent der Reaktorkraft erreichte man die projektierte Unterwasserhöchstgeschwindigkeit von 25 Knoten (etwa 48 km/h). Mit voller Reaktorleistung wären mühelos sogar 30 Knoten und mehr möglich gewesen, nur funktionierten dann die Horcheinrichtungen des Schiffes nicht mehr und das U-Boot wäre „blind“ gefahren. Das U-Boot erreichte eine Diensttauchtiefe von 300 Metern und konnte rein technisch sogar bis 420 Meter Tiefe tauchen. 

Als großes Problem erwies sich die lautstarke Unterwasserfahrt, welche eine Ortung durch den Gegner ziemlich erleichterte. Nach Berechnungen amerikanischer Marinebehörden wäre es in einem Krieg möglich gewesen, binnen zwei Wochen alle auf hoher See befindlichen sowjetischen Atom-U-Boote zu vernichten. Dieser Einschätzung sschloß sich nach 1990 auch der sowjetische Konteradmiral und U-Boot-Experte Nikolai Mormul an. Ein eklatanter Schwachpunkt aller sowjetischen Atom-U-Boote angefangen mit der K-3, war der schwache Schutz der Besatzung vor den Auswirkungen radioaktiver Strahlung. Zwar verfügten alle Besatzungsmitglieder über Dosimeter, auf welchen die Sammeldosis an empfangener Strahlung ablesbar war. 

Doch oft „vergaßen“ die Matrosen und insbesondere die Offiziere des U-Bootes, diese Dosimeter zu tragen, um nicht nach Erreichen der Grenzdosis für den gutdotierten und prestigereichen Dienst auf Atom-U-Booten ausgemustert zu werden. Viele Besatzungsmitglieder der K-3 sind deshalb früh an Krebserkrankungen verstorben. Wie in den sowjetischen Streitkräften zu beobachten, waren die Lebensbedingungen der Besatzung für die Admiralität nachrangig. Die Seeleute der K-3 hungerten während der jahrelangen Bauphase und gingen in zerlumpten Uniformen, weil sich Flottenchef Admiral Gorschkow nicht gegenüber dem cholerischen Verteidigungsminister Marschall Georgi Schukow wegen höherer Verpflegungs- und Bekleidungsnormen für Atom-U-Boot-Besatzungen durchsetzen konnte. Ebenso sah es der in Marinefragen inkompetente Schukow nicht ein, daß ein Atom-U-Boot über zwei Wachmannschaften verfügen müsse, damit es rund um die Uhr einsatzbereit ist. 

Dieser in der amerikanischen Flotte normale Grundsatz setzte sich folglich zum Schaden der Sache in Rußland erst Jahrzehnte später durch. Die K-3 als Prototyp sowjetischer Atom-U-Boote erwies sich zudem als technisch nicht völlig ausgereifte Konstruktion, was wegen Bedienungsfehlern der Besatzung zweimal zu großen Havarien mit vielen Toten führte. Heute dient die K-3 als Schiffsmuseum in Murmansk.