© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Odin, Superstar!
Durch Serien und Videospiele erfährt die nordische Mythologie großes Interesse
Boris T. Kaiser

Die Serien heißen „American Gods“ oder „Vikings“ und gehören zu den absoluten Zuschauermagneten des in den letzten Jahren neu aufgeblühten Fernsehserienmarkts. Im Zeitalter der Blu-ray-Disc und Internetstreamdiensten wie Netflix oder Amazon Prime erfreuen sich nicht nur Politkrimis à la „House of Cards“ oder Dramaserien über andere Kriminelle, wie den Drogendealer Pablo Escobar (zum Beispiel „Narcos), größter Beliebtheit. Auch epochale, fast schon identitär anmutende Erzählungen finden ein stetig wachsendes Publikum. „Game of Thrones“ gehört seit Jahren, auch in vielen deutschen Wohnzimmern, zum Pflichtprogramm. Zwar spielt die Serie in einer fiktiven Welt, sie erinnert aber bewußt stark ans europäische Mittelalter und macht Religion, Krieg, Tradition und Gesellschaft zu zentralen Themen ihrer Handlung. 

An dieses neuentdeckte Interesse des Publikums an – wenn mitunter auch popkulturell verzerrter – historischer und kultureller Identität knüpfen auch die Macher von „Vikings“ und „American Gods“ an. Sie setzen dabei ganz bewußt auf Figuren und Erzählungen aus dem schier unerschöpflichen Schatz der nordisch-germanischen Mythologie. Hätte dies in der Vergangenheit wohl noch größeres Unbehagen hervorgerufen, scheint mittlerweile eine Schicht junger Zuschauer herangewachsen zu sein, die sich von solch fesselnden Geschichten gerne und ohne Nazi-Paranoia unterhalten läßt. 

Familie, Herkunft, Tradition spielen eine große Rolle

Die an historische Fakten angelehnte Serie „Vikings“ erzählt von den Abenteuern des Wikinger-Helden Ragnar Lothbrok. Er und seine Söhne kämpfen sich durch eine Welt voller bildgewaltiger Visionen von Göttern, mythischer Tiere und Walküren sowie Seelen gefallener Krieger auf dem Weg nach Walhalla. 

Der Altlinke mag dies gruselig finden. Der moderne Fernsehzuschauer findet es offenbar einfach nur spannend. Die Protagonisten der Serie huldigen dem nordischen Gott Odin und bringen diesem Tier- und Menschenopfer dar; was mitunter sehr plastisch dargestellt wird. Die Serienmacher haben sich spürbar um ein gewisses Maß an historischer Authentizität bemüht. Eine völlig geschichtsgetreue Nacherzählung liefern sie freilich nicht. Dies ist aber auch nicht vorrangige Aufgabe eines Unterhaltungsformats. 

Die unverkrampfte Herangehensweise der Produzenten, die den Zuschauer weder moralisch belehren noch erziehen wollen, hat einiges für sich. Das gilt auch für die Serie „American Gods“. Anders als „Vikings“ spielt „American Gods“ in der Gegenwart. Dreh- und Angelpunkt der Serie ist dennoch der nordische Göttervater Odin. Dieser nimmt in der detailverliebten Produktion die Gestalt des „Mr. Wednesday“ an; was eine Anspielung auf den Ursprung des Wortes Wednesday, Wodnesdæg, also Wotans- bzw. Odinstag ist. 

Feinheiten wie diese sind es, die die Serie auch für Kenner der germanischen Mythologie attraktiv machen. Die Romanvorlage für die Serie stammt von Neil Gaiman. Der Recherchehunger des Autors dürfte, nicht nur in der Unterhaltungsindustrie, ihresgleichen suchen. Die Tatsache, daß er die von ihm geschriebene Reihe fürs Fernsehen auch gleich selbst produziert, erweist sich deshalb als Segen für das Publikum. 

Auch die Computerspielbranche hat die Welt der nordischen Mythen als Grundlage für ihre Abenteuerszenarien entdeckt. In der Strategie-Rollenspielreihe „The Banner Saga“ tauchen die Videospielfreunde in eine erkennbar nordisch geprägte Welt ein, um diese gegen eine menschenverachtende und längst ausgestorben geglaubte Kriegerrasse zu verteidigen. 

Der berühmt-berüchtigte germanische Kampfgeist, der sich durch die gesamte nordische Mythologie zieht, dient den Köpfen der Unterhaltungsbranche in den Sparten Abenteuer und Action schon lange als Inspirationsquelle für ihre Werke. Daß bei Hollywood-Blockbustern wie „Thor“ oder „Captain America – The First Avenger“ die kulturhistorische Genauigkeit stellenweise deutlich auf der Strecke bleibt und der Popcornkinotauglichkeit geopfert wird, versteht sich von selbst. Die Faszination für das Germanentum und die nordische Mythologie bleibt derweil ungebrochen.