© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 07/18 / 09. Februar 2018

Der Flaneur
Große Spachtelei
Paul Leonhard

Meine Autowerkstatt ist umgezogen. Die Benachrichtung kam in einem Brief einschließlich der Bitte des Meisters, sie doch am neuen, viel schöneren Standort zu besuchen, denn der Tüv sei fällig. Aber die neue Adresse ist nicht mehr fußläufig erreichbar, sondern ist zwei S-Bahn-Stationen von der alten entfernt. Bis jetzt hat das immer prima geklappt: Auto abgeben, mit dem Nahverkehr zur Arbeit und wieder zurück. Oder das Auto eben zwei, drei Tage dort gelassen, wenn es ein Wehwehchen hatte. Es ist ja nicht mehr das jüngste. Schon als ich es mit harter D-Mark kaufte, war es gebraucht. 

Je näher der Tüv-Termin rückt, desto mehr empfinde ich den Umzug der Werkstatt als Verrat. Ich knoble an einem Schlachtplan. Ich beschließe, das Risiko einzugehen, mit dem hochbetagten Patienten den Arzt zu wechseln.

Endlich einer, der mich versteht. Spätestens in zwei Jahren werde ich ihn anrufen.

Ein Termin ist schnell vereinbart. Ich übergebe morgens Papiere und Schlüssel, am späten Nachmittag der befürchtete Rückruf. Schweigend höre ich dem Mechaniker zu. Dann unterbreche ich ihn: Was das denn kosten solle? Das geht gar nicht, höre ich mich sagen. So viel sei ja das Auto nicht mehr wert. Wehmütig denke ich an den alten Werkstattmeister.

„Machen Sie das, was notwendig ist, um die Plakette zu bekommen, mehr nicht.“ Von einem faustgroßen Rostloch und einem neuen Kotflügel höre ich den neuen sprechen. „Spachteln Sie“, sage ich, worauf Sprachlosigkeit auf der anderen Seite herrscht. Nein, nein, heißt es dann, man tausche den Kotflügel komplett aus.

Am Ende glänzt der Wagen wie neu. „Schauen Sie“, sagt der Lehrling stolz, es habe für dieses Modell in ganz Deutschland keinen Kotflügel gegeben, weder über den Ersatzteilhandel noch auf den Schrottplätzen, „da hat unser polnischer Mitarbeiter gespachtelt“. „Toll“, lobe ich und lasse mir dessen Telefonnummer geben. Endlich einer, der mich versteht. Spätestens in zwei Jahren werde ich ihn anrufen, in Bunzlau.