© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

Grüße aus Kopenhagen
Mal schnell gentrifiziert
Claus-M. Wolfschlag

Schon bei der Ankunft in Kopenhagen fällt die Ruhe auf. Es ist bereits dunkel, aber noch früher Abend. Die spärliche Straßenbeleuchtung kämpft gegen den dichten Nebel an, der auf die ausgestorben wirkenden Straßen des Bahnhofsviertels drückt. Eine Gruppe düsterer Gestalten lungert am dunklen Eingang eines der schlichten, backsteinernen Gründerzeithäuser. Ein Auto rollt einsam vorbei. 

Die Szenerie könnte aus einem alten Edgar-Wallace-Streifen stammen. Es fehlt nur, daß Klaus Kinski um die Ecke biegt. Doch da stehen sich nur fünf Frauen die Beine in den Bauch. Bulgarinnen, Afrikanerinnen. „Hey, you want to come with me?“ fragt eine junge Schwarze. „Komm zu mir“, ruft eine Zigeunerin auf deutsch. Ein paar Häuser weiter sind ihre Rufe verflogen, nur die eigenen Schritte hallen auf den Gehwegplatten. 

In einem der Häuser an der Istedgade haben sich amerikanische Touristen über Airbnb ein schickes Apartment für ihren Aufenthalt gemietet. Hohe Decken, Dielenboden, geschmackvoll gestylte Einrichtung. „It’s very nice in Danmark. So interesting“, ist ihr Resümee. Der Eigentümer vermietet seine Wohnung für die Zeit der eigenen Abwesenheit. 

Jeder zweite Einwohner nutzt hier das Fahrrad für innerstädtische Wege.

Auch in Kopenhagen existiert das Phänomen der sogenannten Gentrifizierung. Das einst von Verfall, Drogenkonsum und Prostitution geprägte Arbeiterviertel am Hinterausgang des Bahnhofs zieht seit wenigen Jahren ein gutverdienendes urbanes Publikum an, das Häuser renoviert, Wohnungen herrichtet, aber auch Mieten nach oben treibt.

Beim morgendlichen Blick aus dem Fenster des Hotelzimmers in einer der Nebenstraßen der Istedgade wird einer der Gründe für die Ruhe Kopenhagens offenbar. Die Fläche des geräumigen Hinterhofes ist ein großer Abstellplatz für mehr als 40 Drahtesel.

 Kopenhagen wird bisweilen als Hauptstadt des Radverkehrs bezeichnet. Jeder zweite Einwohner nutzt das Fahrrad für innerstädtische Wege. Parkplätze wurden reduziert. Doch die Radwege sind sehr gut ausgebaut, durch Randsteine von der Autofahrbahn getrennt und teilweise farbig markiert.

 Die Langsamkeit scheint sich auf die rücksichtsvollen Autofahrer zu übertragen. Aber auch Kampfradler mit Ellenbogen-Mentalität sind selten. Da wollte Austauschstudentin Emma aus Boston nicht nachstehen: „Als ich hier ankam, habe ich mir gleich mein erstes Fahrrad gekauft.“