© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

Trautes Heim – verstopfte Straßen
Bringdienst-Boom: Der Drang der Deutschen, sich alles liefern zu lassen, führt zum Verkehrskollaps / Neue Konzepte gefragt
Verena Rosenkranz

Nur wenige Klicks, ein Preisvergleich und schon machen sich die Pakete von Zalando oder Amazon via DHL, Hermes & Co. auf den Weg. Lieferheld propagiert: „Egal, ob du Appetit auf Sushi, Burger, Pizza oder asiatisches Essen hast, der Bringdienst liefert dir dein Lieblingsgericht direkt bis an die Haustür.“ Parallel dazu liefert der Rewe-Lieferdienst Obst, Gemüse, Fleisch- und Wurstwaren, Brot frisch, „schnell und zum Wunschtermin“ auf den Tisch. Oder der angesagte Kochboxenversender HelloFresh – er erwirtschaftete im vierten Quartal einen Umsatz in Höhe von 250 bis 253 Millionen Euro, was einen Zuwachs von fast 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum bedeutet (Handelsblatt) – bringt sein Paket mit „gesunden Rezepten und frischen Zutaten für leckere Gerichte“ mittels dpd vorbei. 

Das Berliner Start-up weiß, wo vielen Deutschen der Schuh drückt: „Schon mal beim Einkaufen auf die Uhr geschaut? Im Durchschnitt verwendet eine vierköpfige Familie cirka 90 Minuten auf den wöchentlichen Einkauf. Wir wollen, daß du wieder mehr Zeit hast: Zeit für Deine Kinder, für Deine Familie, für Freunde, für die Freizeit, oder einfach für das Buch, das du nie fertiglesen konntest.“

Rekordeinnahmen für Kurierbranche  

Was sich nach einer traumhaften Alternative für Einkaufsmuffel anhört, ist der Albtraum eines jeden Autofahrers. Verstopfte Straßen und dicke Luft sind die Nebenwirkungen der zuvor online bestellten und sehnsüchtig erwarteten Waren.  Über 93.000 Fahrzeuge gehören mittlerweile zur Flotte der Deutschen Post. Bis auf wenige Feiertage im Jahr sind sie nahezu rund um die Uhr zur Auslieferung von mehr oder weniger wichtigen Sendungen im Einsatz. Einen enormen Teil der Aufträge machen dabei mittlerweile Pakete des Onlinehändlers Amazon aus. Deutlich spürbar ist das auch in jeder größeren deutschen Stadt zu den Hauptverkehrszeiten.

 Der Onlinehandel boomt. Folge: Auch die Kurier-, Expreß- und Paket-Branche (KEP) blickt auf ein stetig steigendes Sendungsvolumen. 2016 wurde bereits die Drei-Milliarden-Schallmauer geknackt. Auch im ersten Halbjahr  2017 blicke die Branche auf ein sehr erfolgreiches Ergebnis zurück, erklärte Florian Gerster, der Vorsitzende des Bundesverbandes Paket und Expreßlogistik (BIEK). Bei den Paketsendungen sei ein Anstieg um 6,6 Prozent zu verzeichnen. 

Aber auch die Expreß- und Kuriersendungen konnte im ersten Halbjahr deutlich um 5,2 Prozent zulegen, so Gerster. Damit würden rechnerisch täglich über 500.000 Sendungen mehr als im ohnehin bereits starken Jahr 2016 transportiert. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen sei für das gesamte Jahr 2017 mit deutlich mehr als 3,3 Milliarden Sendungen und einem Umsatzanstieg auf über 19 Milliarden Euro zu rechnen, so ein Ergebnis der Analysten von KE-CONSULT Kurte&Esser GbR.

Allein in Köln, so eine aktuelle Studie der dortigen Industrie- und Handelskammer, liegt das Sendungsvolumen bei 150.000 Paketen täglich. Diese werden von etwa 1.000 Fahrzeugen verteilt, die etwa 80.000 Stopps pro Tag machen. Weil es an Parkmöglichkeiten und Zeit fehle, blieben die Zusteller zu 80 Prozent in zweiter Spur oder einfach ganz auf der Fahrbahn stehen und zögen ein Verkehrschaos nach sich. Vor allem werde die Rolle des Lieferverkehrs in „absehbarer Zeit nicht an Bedeutung verlieren. Ganz im Gegenteil – es wird von allen Seiten noch mit einer Zunahme des Lieferverkehrs gerechnet.“

Was tun? Als „besonders vielversprechend“ sieht die IHK-Köln das „Mikro-Depot-Konzept“, bei dem die „allerletzte Meile“ (Radius 500 bis 1.000 Meter) von einem zentralen Container aus per Lastenfahrrad oder zu Fuß bedient wird. Die IHK Köln empfiehlt, dieses Konzept in eine Lieferverkehrsstrategie für die Städte aufzunehmen. 

 Neue Konzepte für den Wirtschafts- und Logistikverkehr sind gefragter denn je. Entsprechend startete Hannover vor drei Monaten zusammen mit Unternehmen und Hochschulen sein „bundesweit bisher einmaliges Modellprojekt ‘Urbane Logistik’, für das der Bund bereits Forschungs-Fördermittel bewilligt hat.

„Wir wollen Modellregion für den Lieferverkehr der Zukunft werden. Es geht um saubere, leise, effektive und damit zukunftssichere Logistikkonzepte in unseren Städten. An Bord der in dieser Form einzigartigen Kooperation haben wir starke Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft“, lobte Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) das Projekt.

Intelligente Vernetzung und „smarte Mobilitätslösungen“, so die Hannoveraner Projektinitiative, könnten den Liefer- und Logistikverkehr „effizienter und ressourcenschonender“ gestalten. Der Einsatz von elektrisch angetriebenen Lieferfahrzeugen spiele dabei eine wichtige Rolle. 

Über eine anstehende Bürgerbefragung im Frühsommer 2018 kam die Projektgruppe bei dem hochkomplexen Thema aber noch nicht hinaus.

Zwischenzeitlich sieht sich die Deutsche Post mit der Einführung von umweltverträglichen Fahrzeugen – „Der StreetScooter bietet clevere E-Mobilität“ – auf dem richtigen Weg. Auch der Hermes-Paketversand will bis 2020 bis zu 1.500 Mercedes-Benz Elektrofahrzeuge bundesweit einsetzen. Im November habe die Pilotphase, in der ab sofort rund 50 E-Fahrzeuge getestet werden, bereits begonnen. Im Zuge dessen sei auch ein Ausbau des Hermes- PaketShop-Netzwerks und die Schaffung neuer Mikrodepot-Lösungen geplant, so der Branchendienst Eurotransport.de.

Elektroräder sollen es nun richten 

„E-Antriebe sind eine Schlüsseltechnologie für den urbanen Transport – gerade auch im gewerblichen Umfeld. Lieferungen auf der letzten Meile müssen noch effizienter werden und in bestimmten Anwendungsgebieten emissionsfrei sein“, unterstrich Volker Mornhinweg, Leiter Mercedes-Benz Van die Kooperation. Daher habe man bereits 2016 angekündigt, nach 2011 erneut mit einem Elektro-Transporter von Mercedes-Benz in Serie zu gehen. „Wir sind stolz, mit Hermes schon jetzt unseren ersten Kunden bekanntzugeben – und das mit signifikanter Stückzahl.“ 

Zwar vermindern diese das Verkehrsaufkommen nicht, aber immerhin das schlechte Gewissen der Konsumenten.  5.000 dieser neuen DHL-Streetscooter sind bereits für die Deutsche Post unterwegs und haben seit deren erstmaligem Einsatz im Dezember 2017 schon 13,5 Millionen Kilometer zurückgelegt. 16.000 Tonnen Kohlendioxid sollten durch sie jährlich eingespart werden, die Wartung und Reparaturkosten um 60 bis 80 Prozent gesenkt werden. 

Doch Mitarbeiter klagen über die geringe Reichweite bei voller Beladung. Obwohl mindestens 100 Kilometer Laufleistung versprochen wurden, blieben gerade zu Beginn viele schon nach 70 Kilometern liegen und kamen nicht mehr vom Fleck. Auf schnelle Hilfe wartet man bei den ausgeklügelten Elektrofahrzeugen vergeblich, nur extrem wenige Mechaniker kennen sich damit aus und können Abhilfe bei Problemen schaffen. Das Ergebnis ist also eine längere Lieferzeit und noch mehr Fahrzeuge auf den Straßen, um die ausfallenden oder gerade ladenden Autos zu kompensieren. 

Als Alternative zum E-Transporter will UPS ein „nachhaltiges Lieferkonzept“ in der Frankfurter Innenstadt umsetzen. Von einem Mikrodepot in der Meisengasse aus sollen UPS Mitarbeiter künftig mit „elektrisch unterstützten Lastenfahrrädern und zu Fuß“ Sendungen zustellen. Auf diese Art könnten pro Tag zwei Dieselfahrzeuge eingespart werden. In einer zweijährigen Versuchsphase, so der US-Transportriese, werde das Projekt in Zusammenarbeit mit der Stadt Frankfurt, der IHK Frankfurt und dem House of Logistics & Mobility (HOLM) erprobt.

Eine andere Alternative hat sich Barcelona überlegt. In einem Pilotversuch werden derzeit „Kofferraumzustellungen“ getestet. Wer sein Auto, derzeit allerdings nur der Marke Saba, in bestimmten Kooperationsparkhäusern abstellt und den Schlüssel einem Mitarbeiter anvertraut, bekommt seine Bestellung noch am selben Tag durch einen einmaligen Zugang in den Kofferraum geliefert. Der Gedanke entstand ursprünglich, weil der Endabnehmer vielfach während der Zustellzeiten nicht zu Hause ist. 

Doch auch diese Lösung überzeugt  nicht alle. Im Sinne der Umweltverträglichkeit und Aufrechterhaltung sozialer Strukturen stehen seit geraumer Zeit zahlreiche „Protestaktionen“ von kleineren und größeren Städten im Raum. So hat es sich beispielsweise Wuppertal gemeinsam mit dem Internet-Start-up Atalanda zur Aufgabe gemacht, gegen Amazon anzutreten und eigene Handelsplattformen für regional erwerbbare Produkte gegründet. 

Mehr als 70 beteiligte Geschäfte gibt es seit der Gründung 2014 bereits, die Kunden können im Internet nach den Produkten suchen, sich alles zusammenstellen und einpacken lassen und holen es dann im Laden ab. 

Parallel dazu regt die Kampagne „Kauft wird zhaus“ des Bundesgremiums Elektro- und Einrichtungsfachhandel der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) zum Undenken an: „Es freut uns, daß dir der heimische Elektrofachhandel wichtig ist. Vielen ist er nämlich egal. Das kann aber schnell nach hinten losgehen – vor allem, wenn es zu Problemen kommt. Während du dann bei ausländischen Onlinegiganten ewig in der Warteschleife hängst, bieten dir unsere Fachhändler professionellen Service. Aber auch schon vor dem Kauf wirst du persönlich beraten und kannst Produkte direkt im Geschäft angreifen und ausprobieren.“

Überhaupt, so die Kampagne weiter, hätten die „ausländischen Onlinehändler“ negativen Einfluß auf die österreichische Wirtschaft. Denn wer bei ausländischen Onlinehändlern bestelle, gefährde jeden 16. Arbeitsplatz im österreichischen Elektrofachhandel.