© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 08/18 / 16. Februar 2018

Wahrheit und Illusion
Bibliothek: Vortrag über Botho Strauß
Mathias Pellack

Was ist also Wahrheit?“ fragt Nietzsche in „Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinn“ und antwortet selbst: „Ein bewegliches Heer von Metaphern (…) die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt wurden, und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken.“ Eine dieser Metaphern die die Sprache des Philosophen beschreibt, ist „mystisch“.

„Mystisch und aphoristisch“ seien auch Botho Strauß’ Schriften, so Michael Wiesberg bei einem Vortrag in der Berliner Bibliothek des Konservatismus zu „25 Jahre ‘Anschwellender Bockgesang’“, jenem legendären Essay des Dramatikers, der am 8. Februar 1993 im Spiegel erschien (JF 6/18). Dabei verschärfte der Theologe und Historiker Wiesberg in der vorigen Woche die bedeutungsschwangeren Wort-Wolken von Strauß hin zu einer „deutsch-nationalen“ und „reaktionären“ Auslegung.

Fremdherrschaft als Heilmittel

Ausführlich zitierte Wiesberg vor knapp einhundert Zuhörern aus diversen Strauß-Publikationen, darunter dem 2015 anläßlich der Flüchtlingskrise ebenfalls im Spiegel erschienenen Essay „Der letzte Deutsche“ : Oft bringe „erst eine intolerante Fremdherrschaft ein Volk zur Selbstbesinnung. Dann erst wird Identität wirklich gebraucht. Der Irrtum der Rechten: als gäbe es noch Deutsche und Deutsches außerhalb der oberflächlichsten sozialen Bestimmungen. Jenen Raum der Überlieferung von Herder bis Musil wollte noch niemand retten.“ Wiesberg verknüpfte die Texte des bilderreich schreibenden Schriftstellers und Dramatikers zu einer Einheit  deutscher Sprache.

Doch weil die „Verbrechen der Nazis so gewaltig (sind), daß sie nicht durch moralische Scham oder andere bürgerliche Empfindungen zu kompensieren sind“, kritisiert Wiesberg mit Strauß die linke (und schon von der historischen Wortbedeutung her „falsche“) Ansicht, wonach der Mensch, wie bei Nietzsche, seinen Untergang zugunsten des Übermenschen wollen soll. Das Niedrigste sei „die politisierte Schmerzlosigkeit, mit der man die Selbstaufgabe befürwortet“ (Strauß).

Diese Wahrheiten sind in unserer Zeit mehr als „Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind“ (Nietzsche), bekunden auch die Zuhörer in der anschließenden Fragerunde.