© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

Protest und seine Grenzen
AfD: Die Umfragewerte steigen, dennoch läuft es innerparteilich nicht spannungsfrei / Heftige Kritik an Aschermittwochsrede André Poggenburgs
Hjörn Harms / Christian Vollradt

Gerade mal fünf Jahre alt und schon auf Platz 2. In der am Montag veröffentlichten Insa-Umfrage kommt die AfD auf 16 Prozent Zustimmung und damit mehr als die SPD (15,5 Prozent). Mancher AfD-Abgeordnete äußert sich am Beginn der Sitzungswoche im Bundestag in einer Mischung aus Stolz und Fassungslosigkeit – wie kann das angehen? Die 150 Jahre alte Volkspartei überholt ...

Doch so ganz ungetrübt ist die Freude über solche Erfolgsmeldungen nicht bei allen in der Partei. Das liegt zum großen Teil am politischen Aschermittwoch, den die mitteldeutschen AfD-Verbände im sächsischen Nentmannsdorf südlich von Dresden gefeiert hatten. Für die meiste Furore hatte Sachsen-Anhalts AfD-Landes- und Fraktionschef André Poggenburg gesorgt, als er sich mit heftigen Worten gegen Kritik aus der Türkischen Gemeinde an einem möglichen Heimatministerium gewandt hatte: „Diese Kameltreiber sollen sich hinscheren, wo sie hingehören, weit hinter den Bosporus, zu ihren Lehmhütten und Vielweibern.“ Diese „Kümmelhändler haben selbst einen Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern am Arsch“, hatte Poggenburg vor über tausend größtenteils begeisterten Teilnehmern gepoltert. 

Heftige Kritik kam daraufhin nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch aus den Reihen der Partei. So äußerte der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Frank Hansel: „Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde!“ Das sei „nicht #AfDwirkt, das würgt“, schrieb Hansel auf Twitter. Solche Ausfälle mit der Behauptung zu entschuldigen, „die Ossis ticken halt so“, lehnte Hansel im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT ab: „Wir dürfen nicht den gesamten Osten in Mithaftung für diese Unkultur nehmen.“ Er warnte davor, bürgerlich-konservative Wähler abzuschrecken. „Gerade jetzt, wo Union und SPD ihre Unfähigkeit oder Unwilligkeit, den Menschen zuzuhören und ihre Sorgen ernstzunehmen, unter Beweis stellen, brauchen uns doch diese Leute.“ In dieser Situation dürfe man nicht Wasser auf die Mühlen derer leiten, die die AfD in die rechtsradikale Ecke stellten. Auch der Bundesvorsitzende Jörg Meuthen kritisierte die Wortwahl des Magdeburgers als „deutlich zu weit“ gehend.

„Ach, das ist halt Karneval, das bewegt mich nicht“

Am vergangenen Freitag war das Verhalten Poggenburgs auch Thema im Bundesvorstand. Die Sitzung soll deswegen länger gedauert haben, offensichtlich gab es Redebedarf. Ohne Gegenstimme beschlossen die Vorstandsmitglieder schließlich, Poggenburg abzumahnen. Im Wiederholungsfall drohen ihm weitere Ordnungsmaßnahmen (etwa eine Amtssperre bis hin zum Parteiausschlußverfahren). Nach Informationen der JF soll sich Parteichef Alexander Gauland indes enthalten haben. Er hatte sich schon zuvor betont gelassen gegeben. „Ach, das ist halt Karneval“, meinte er am Donnerstag gegenüber der JF. Er sehe da keinen Bedarf für eine innerparteiliche Debatte: „Das bewegt mich nicht.“ Andere schon. Mehrere Mitglieder der Bundestagsfraktion haben gefordert, „die wahre, liberal-konservative Ausrichtung“ in der Partei zu fördern und „nicht das falsche Stereotyp des Radikalen“.  

Dabei geht es vielen Kritikern gar nicht ausschließlich oder vorrangig um die Poggenburg-Rede. Mißtrauisch beäugen AfD-Politiker – nicht nur, aber vor allem in den westdeutschen Bundesländern –, was sich da am Aschermittwoch anzubahnen schien: ein „Ost-Bündnis“, das sich deutlich weniger um Abgrenzung nach rechts schert, als es die aktuelle Beschlußlage der Partei verlangt. So hatte sich beispielsweise Thüringens Fraktionschef Björn Höcke, der gemeinsam mit seinen Kollegen Poggenburg, Andreas Kalbitz (Brandenburg) und Sachsens Landes- und Fraktionschef Jörg Urban in Nentmannsdorf aufgetreten war, die ebenfalls dort anwesenden Pegida-Initiatoren Lutz Bachmann und Siegfried Daebritz in seiner Rede lobend erwähnt. 

Dem Versuch, die geltenden Abgrenzungsbeschlüsse in Richtung Pegida zu lockern, hatte der AfD-Bundesvorstand am Freitag jedoch einen Riegel vorgeschoben. Ein entsprechender Vorstoß bekam keine Mehrheit. Offensichtlich ist, daß Poggenburgs Sprüche ihr übriges dazu beigetragen haben. Nach dem Motto: Was hätte das für eine fatale Signalwirkung, wenn jetzt auch noch der Schulterschluß mit Pegida geübt würde? „Solange da jemand wie der mehrfach vorbestrafte Lutz Bachmann das Sagen hat, ist das auch völlig ausgeschlossen“, bekräftigte Parteivize Georg Pazderski die Beschlußlage. 

Der Berliner Fraktionschef hatte erst kürzlich in einem internen Papier gefordert, die AfD müsse mittelfristig in der Lage sein, „ganz konkret politische Verantwortung zu übernehmen“. Eine als rechtsaußen stigmatisierte Protestpartei könne zwar eine große heterogene Anhängerschaft versammeln, drohe aber, sich eines Tages totzulaufen. Den aktuellen Umfragewerten zum Trotz.