© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

Ländersache: Mecklenburg-Vorpommern
Buddeln bis zum Bodden
Werner Becker

Mecklenburg-Vorpommern ist um eine Touristenattraktion reicher. Allerdings nicht ganz freiwillig. „Fliegen Sie mit uns auf kürzestem Weg nach Tribsees, um das rasant wachsende Loch in der Küstenautobahn A20 aus der Vogelperspektive zu beobachten. Vermeiden Sie so hohe Strafen, die für das Erstellen von Selfies an der Gefahrenstelle fällig werden“, wirbt das Flugportal Ostseeflug.com. Zwischen 140 und 250 Euro kostet ein Flug über Deutschlands spektakulärste Baustelle.

Auf mehr als 100 Meter Länge sind die beiden Fahrspuren der A20 bei Tribsees mittlerweile abgesackt. Seit Oktober ist die Autobahn rund 40 Kilometer östlich von Rostock komplett gesperrt. Grund für das Absacken soll eine Torflinse unter der Trasse sein, die hier mitten durch ein renaturiertes Moor führt. Laut Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) sei die Wiedervernässung jedoch nicht schuld an der auseinandergebrochenen Autobahn. Woran es nun lag, darüber wird seitdem viel spekuliert. Die Landesregierung weiß es jedenfalls noch nicht.

Bis mindestens 2021, mehr als drei Jahre, soll die Reparatur nun dauern. Das klingt im Vergleich zu den Dauerbaustellen BER und Stuttgart 21 zwar wenig, ein Blick auf die Landkarte zeigt jedoch die ganze Dramatik. Die A20 ist die zentrale Ost-West-Verbindung Mecklenburg-Vorpommerns. Viel mehr Autobahnen gibt es in dem Land auch nicht. Gleichzeitig muß das Land vor allem in den Sommermonaten die Anreise von rund 30 Millionen Feriengästen sicherstellen. Drohen nun Megastaus in Richtung Küste? Landesverkehrsminister Christian Pegel (SPD) winkt ab: Er rät den Hotelbetreibern, sie sollten den üblicherweise am Sonnabend stattfindenden Bettenwechsel „entzerren“, um so zu viele Anreisen an einem Tag zu verhindern.

Auch auf der Baustelle gehe es zügig voran, lobt Pegels Ministerium. „Es wurden schon einige Arbeiten zur Beräumung im Grundbruchbereich durchgeführt. Mit eigenen Kräften wurde die gesamte Beschilderung abgebaut.“ Die Schilder sind also weg, das Loch wird immer größer.

Dem Vorsitzenden der IHK Rostock, Claus Ruhe Madsen, platzte angesichts solcher „Erfolgsmeldungen“ der Kragen: „Man schaut in die Welt hinaus, ob es in anderen Ländern ähnlich lang dauern würde und kommt auf die Idee, man könne die Chinesen mit der Wiederherstellung beauftragen. Dabei wären sie wahrscheinlich schneller fertig – egal ob sie gleich hier oben anfangen oder sich von China durchbuddeln.“

Auch andere wichtige Straßen an die Küste sind seit Monaten Baustelle. So geht es etwa bei der B96 auf Rügen einfach nicht voran. Im Sommer droht Deutschlands beliebtester Urlaubsinsel der Verkehrsinfarkt. Ist das nur die Spitze des Eisbergs? Anfang Januar titelte die Ostsee-Zeitung: „Großteil der Straßen in MV löchrig und kaputt.“ Hintergrund ist eine Anfrage des AfD-Bundestagsabgeordneten Leif-Erik Holm an die Bundesregierung. Demnach sind 22,4 Prozent der Autobahnstrecken in Mecklenburg-Vorpommern sanierungsbedürftig. Bei den Bundes- und Landstraßen liegt dieser Wert noch höher. Experten schätzen den Sanierungsbedarf der Straßen allein in MV auf rund eine Milliarde Euro. Das wären umgerechnet rund fünf Millionen Flüge über die Kraterlandschaft der A20.