© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 09/18 / 23. Februar 2018

Pankraz,
die Imperien und Europa als Denkmal

Für die endliche Einführung einer „europäischen Erinnerungspolitik“ plädierte im Londoner Guardian  die Kolumnistin Natatalie Nougayrède. Es gebe, klagte sie, zwar tagtäglich pompöse Reden über Europa, aber „keine Denkmäler, Statements, Erziehungsprogramme oder Museen, in denen Europas komplexes Mosaik aus klar nationalen Geschichten in einer Art zusammengebracht wird, die verstehen hilft, welches Leben andere auf diesem Kontinent haben. Europäer sehen die Geschichte anderer Europäer oft immer noch durch die Linse ihrer eigenen nationalen Vergangenheit.“

Belege satt für solche Feststellungen lieferte die vorigen Sonntag zu Ende gegangene Münchner Sicherheitskonferenz, bei der die auftretenden Europäer, ob nun Theresa May oder Sigmar Gabriel, zwar von der weltpolitischen Wichtigkeit Europas erzählten, doch kein Wort darüber verloren, warum es denn wo wichtig sei. Pompös führte Gabriel aus, Deutschland sei entschlossen, „massiv in die Zukunft der EU zu investieren (…) Europa ist nicht alles, aber ohne Europa ist alles nichts. Niemand soll versuchen, die EU zu spalten – nicht Rußland, nicht China, aber auch nicht die Vereinigten Staaten.“

Gabriels einstiger Parteigenosse, der verstorbene ehemalige Bundeskanzler und erklärte „Weltökonom“ Helmut Schmidt, hätte nie solche Töne riskiert. Er wußte noch (und sprach es auch offen aus), daß Staaten, um weltmachpolitischen Einfluß zu gewinnen, außer innerer Stabilität und einer eminenten Wirtschaftskraft  auch große geographische Räume und hohe Bevölkerungszahlen vorweisen müssen, um von wirklichen Imperialisten voll akzeptiert zu werden. Deutschland oder Frankreich allein seien einfach zu klein dafür, und deshalb müsse zumindest eine einheitliche Währung her.


Peter Gauweiler hat seinerzeit gegen solche Überlegungen – welche übrigens auch von Helmut Schmidts französischem Kollegen und Dauergesprächspartner Valéry Giscard d’Estaing geteilt wurden – eingewandt, daß die Leitlinien entwickelter Geopolitik sich gründlich verändert hätten. Große Räume verschafften heute nur noch weltpolitischen Spielraum, sofern sie wichtige Bodenschätze bergen, Öl und Gas, Seltene Erden, abholzbare Regenwälder. Große Bevölkerungszahlen seien nur noch als potentielle Kundenzahlen positiv interessant.

Dem mag wirklich so sein; es ändert aber nichts daran, daß Gabriels arroganter Münchner Sprech, „Europa ist nicht alles, aber ohne Europa ist alles nichts“, von den Herrschern der zur Zeit tatsächlich existierenden Weltimperien, China, USA, Rußland, nur herablassend belächelt wird, und zwar leider zu Recht. Es fehlt Euro-pa ja nicht nur an räumlicher Ausdehnung, an Bodenschätzen und leicht einsetzbarer einheimischer Bevölkerung, sondern auch und vor allem am Willen,  sich selbst zu erhalten, die eigene Identität, Kultur und Tradition zu beschützen und sorgfältig auszubauen.

Wohlgemerkt im kleineren, nationalen Rahmen sind diese Selbsterhaltungskräfte noch durchaus lebendig, werden sogar liebevoll gepflegt. Einzig für Europa gilt dieser Zug zum „Denkmal“, den Frau Nougayrède im Guardian so schmerzlich vermißt, nicht. Er wurde von den tonangebenden Kräften des herrschenden medial-politischen Komplexes ersetzt durch das fiktive Idealbild eines in allem und jedem völlig gleichartigen Menschen, vor dessen  spontanen Antrieben alles kulturelle und traditionsgeschwängerte Leben zu kuschen habe. 

Und die auch vom Genossen Sigmar Gabriel über viele Jahre mitgetragene Große Koalition der Angela Merkel hat das Kraut der Unterwerfung schließlich fett gemacht. Die von Berlin ausgerufene „Willkommenskultur“, die mit den EU-Partnern nicht abgesprochene vollkommene Öffnung der Außengrenze, das unkontrollierte Hereinlassen von Millionen von  Armutsflüchtlingen aus total anderen Kulturkreisen – all diese Verbrechen (anders kann man es kaum nennen) haben den inner-

europäischen Zusammenhalt schließlich wohl für historisch unabsehbare Zeiten zerstört.


Die Briten, ein Volk, ohne das sich Europa im Grunde gar nicht denken läßt, haben „Europa“ per Brexit verlassen. Die kleineren ostmitteleuropäischen Visegrád-Staaten werden einzig durch aktuelle finanzielle Erwägungen am offenen Rebellieren gehindert. Die großen Südstaaten, Italien, Spanien, Griechenland, auch Frankreich, setzen auf die Schuldenunion, in welcher Form auch immer. Deutschland, Österreich, Dänemark und die Niederlande sollen im Ende, um „Europäer“ zu bleiben, die Zeche bezahlen.

Bei alledem weiß niemand, was „Europäersein“ außer Schuldenmachen beziehungsweise Bezahlenmüssen eigentlich bedeutet. Die Etymologie des Wortes Europa ist ausgesprochen uneuropäisch. Es soll der Name einer phönizischen Prinzessin gewesen sein, die Zeus auf einen Stier setzte, um mit ihr ins ferne Liebesnest zu reiten, wobei die Dame zuviel gequasselt haben soll, „barbarbarbarbar“. Die alten Griechen betrachteten sich keineswegs als Europäer; es gibt eine (eher beiläufige) Bemerkung von Herodot, worin er die Barbarenstämme im Norden pauschal als „Europäer“ bezeichnet. 

Erst viele Jahrhunderte später tauchte der Begriff Europa zum ersten Mal in rein positiver Aktzentuierung auf, nämlich im Jahre 799 n. Chr. in der sogenannten Paderborner Handschrift, einem in feierlichen Hexametern verfaßten Bericht über die Begegnung des nachmaligen Kaisers Karls des Großen mit dem aus Rom vertriebenen Papst Leo III. in Paderborn, wo Karl während seiner Kriege gegen die Sachsen residierte. Der Papst erfleht (und bekommt) den Beistand des Frankenkönigs, und dieser wird emphatisch als „Herr Europas“ und „Europas erhabener Leuchtturm“ gefeiert.

Es ließe sich also, historisch durchaus korrekt, irgendwo in Europa ein stattliches Denkmal aufrichten: Der Papst dankt im Namen aller Gläubigen Karl dem Großen für die Errettung des christlichen Imperiums. Doch dieses ist bekanntlich nicht von dieser Welt.