© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

„Liebe Genossinnen und Genossen!“
CDU-Parteitag: Große Mehrheit stimmt für Koalition mit SPD / Kritische Töne bleiben Einzelfälle
Hinrich Rohbohm

Vier Minuten. So lange dauert der Beifall der knapp tausend Delegierten auf dem CDU-Sonderparteitag in der Berliner „Station“. Wer die Klatschorgien christdemokratischer Funktionäre nach Reden ihrer Vorsitzenden kennt, der weiß: Vier Minuten sind für Angela Merkel fast schon eine Beleidigung.

Beim regulären Parteitag im Dezember 2016 waren es mehr als elf Minuten gewesen. Damals hatten die Delegierten der CDU-Chefin noch einmal das Vertrauen ausgesprochen, wählten sie mit 89 Prozent erneut zur Vorsitzenden. Unter 90 Prozent. In einer Partei, deren Geschichte stets von großer Loyalität zu ihren Kanzlern und Vorsitzenden geprägt war, ist so etwas als deutliches Warnsignal zu verstehen. Eines, das sich inzwischen weiter verschärft hat. 8,6 Prozent Verlust bei der Bundestagswahl. Schlechtestes Ergebnis seit 1949. Massenhaft Parteiaustritte. Verbände aus JU, MIT und Wirtschaftsrat, die mehr oder weniger offen Merkels Rücktritt als Parteivorsitzende fordern. Und eine nun schon fünf Monate währende Hängepartie bei der Regierungsbildung. 

Schon die Tatsache, daß ein Sonderparteitag über den Koalitionsvertrag abstimmt, ist ein Novum. Ein Zugeständnis Merkels an die Junge Union. Ein weiteres Zugeständnis der Kanzlerin ist die Einbindung von Jens Spahn. „Sonst wäre dieser Parteitag sicher nicht so harmonisch verlaufen. Und wäre geheim abgestimmt worden, hätte es auch deutlich mehr Gegenstimmen gegeben“, erzählt ein langjähriger Delegierter der JF. So jedoch hätten viele aus Furcht vor Sanktionen durch die Parteiführung zähneknirschend dafür votiert. Nur 27 Stimmberechtigte fanden den Mut, gegen die Große Koalition zu stimmen.

Dennoch üben nicht wenige Delegierte Kritik am Kurs der Partei. 50 Redner haben sich zur Debatte über den Koalitionsvertrag zu Wort gemeldet. Einer von ihnen ist der Ravensburger Kommunalpolitiker Eugen Abler.

Der 66jährige hatte schon auf dem vergangenen Parteitag in Essen mit scharfer Kritik an der Kanzlerin für Furore gesorgt. „Diese neue Regierung scheint eine Ausgabenkoalition zu werden“, warnt er. Die CDU habe sich von der SPD erpressen lassen. Dafür trage Angela Merkel die Verantwortung. Werte seien unter ihr zu „Worthülsen“ geworden. 

„Ich glaube nicht, daß wir die richtigen Antworten darauf geben, um wirklich wieder Vertrauen bei den Menschen zurückzugewinnen, die die AfD gewählt haben“, meint der Leipziger Delegierte Michael Weickert.

Auch der Vorsitzende des Wirtschaftsrats Werner Bahlsen gibt sich skeptisch. „Der Wirtschaftsrat betrachtet mit großer Sorge, daß die marktwirtschaftliche Ausrichtung unserer Partei im Zuge der Großen Koalition weiter an Kontur verliert.“ Mit den im Europa-Kapitel des Vertrags vorgesehenen Maßnahmen drohe der Weg in die Tranferunion, in der deutsche Sparer für die Schulden anderer Länder haften.

„Wer unsere wirtschaftlichen Prinzipien preisgibt zugunsten von Umverteilung und Sozialismus, der wird das europäische Projekt nachhaltig beschädigen“, warnt Bahlsen.  „Dieser Koalitionsvertrag setzt auf Umverteilung und hat keine Antworten auf die großen Fragen unserer Tage.“ Für Hans-Jürgen Irmer hat das Maß der Umverteilung gar ein solch hohes Maß erreicht, daß er versucht, die Delegierten mit Sarkasmus wachzurütteln. „Liebe Genossinen und Genossen“, beginnt er seine Rede. Keine Reaktion im Plenum.

Laschet fährt dem Konservativen in die Parade

MIT-Chef Carsten Linnemann meint: „Beim Thema Europa hätten wir besser verhandeln müssen.“ Auch Klaus-Peter Willsch stimmt gegen den Vertrag, kritisiert den Nanny-Staat, in den sich Deutschland zusehends verwandle. „Wir betüteln euch hier, wir betüteln euch da, das ist doch nicht unsere Auffassung von Eigenverantwortung.“

Unterdessen versucht das Tagungspräsidium die Kritiker mit Verfahrenstricks auszubremsen. Als Vorsitzende fungiert da eigentlich die Berliner Landesvorsitzende Monika Grütters. Tatsächlich ist es jedoch Armin Laschet, der während der Debatte die Sitzungsleitung übernimmt.Nachdem Parteivize Volker Bouffier und Hermann Gröhe in ausgiebigen Wortbeiträgen für die Koalition geworben hatten und darauf der GroKo-Gegner Christean Wagner vom konservativen Berliner Kreis zur Gegenrede ans Rednerpult tritt, schaltet sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident ein. „Angesichts der Fülle von Wortbeiträgen beschränken wir ab jetzt die Redezeit auf drei Minuten, ganz egal wie prominent ein Redner auch sein mag“, verkündet er mit süffisantem Lächeln. Der Parteitag nickt die Änderung ab, Wagner muß improvisieren, kann seine vorbereiteten Argumente nicht mehr geordnet einbringen. Nach Exakt drei Minuten fährt ihm Laschet in die Parade. „Danke, der nächste bitte“, entzieht er dem ehemaligen hessischen Staatsminister das Wort. Wenig später wirbt Volker Kauder für den Vertrag. Er redet fast sieben Minuten.

„Wir brauchen deutlich mehr Delegierte, die aus der Basis unserer Partei kommen“, meint Fabian Bail im Gespräch mit der JF. Zu viele seien reine Berufspolitiker und daher schon aus existentiellen Gründen nicht frei in ihrem Abstimmungsverhalten, benennt er den Grund für die stets hohen Zustimmungswerte auf Bundesparteitagen. „Viele denken richtig, aber klatschen falsch“, beschreibt der 37jährige das Dilemma dieser Funktionäre.

Sein CDU-Kreisverband Reutlingen stellt neben ihm noch einen weiteren Delegierten zum Parteitag. Gemeinsam gehören sie zu den wenigen, die sich dem Koalitionsvertrag entgegenstellen. „Wir werden beide gegen die GroKo stimmen“, verrät er. Als Alternative könne er sich eine Minderheitsregierung sehr gut vorstellen. „Nur weil wir noch nie eine gemacht haben heißt es nicht, daß sie schlecht sein muß.“ Immerhin: Nach jahrelanger Einmütigkeit wird auf einem Parteitag wieder debattiert. Auch Thomas de Maizière fällt das auf. „Finde ich toll“, entfährt es ihm. Der scheidende Innenminister erhält besonders starken Beifall. Manche im Saal deuten das ebenso als stillen Protest gegen Merkel wie den ausgelassenen Jubel für die mit fast 99 Prozent zur Generalsekretärin gewählte Annegret Kramp-Karrenbauer. Im Gegensatz zur Kanzlerin erreicht sie in ihrer rede Herz und Seele der Partei, der Saal tobt. Während die Kanzlerin eher pflichtschuldigen Applaus bekommt.