© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

Sauber trennen im politischen Kampf
AfD: Im Bundestag bringt die Fraktion das Plenum in Wallung / Karlsruhe sieht die Chancengleichheit der Partei durch die Bundesregierung beeinträchtigt
Christian Vollradt

Wer Langeweile sucht, sollte den Bundestag meiden. Daß die Intensität der Debatten im Plenum mit dem Einzug der AfD zunimmt, ist keine ganz neue Beobachtung, der Trend setzte sich in der vergangenen Woche munter fort.  

Fraktionschefin Alice Weidel nutzte ihre Erwiderung auf die Regierungserklärung Angela Merkels zum EU-Gipfel, die Preisgabe der Budgethoheit des Parlaments zu geißeln. In Europa gehe die Angst um, der Brexit könne Schule machen und andere Nationen ermuntern, „sich ihre Souveränität zurückzuholen“. Ihr Mit-Vorsitzender Alexander Gauland warb eindringlich für Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Osteuropäer und deren Skepis beim Thema Zuwanderung: „Es gibt keine Pflicht zur Buntheit!“ Hoch her ging es kurz darauf beim Antrag der AfD zum Verbot der Vollverschleierung. „Mister de Maizière, tear down the Burka“, rief der Berliner Abgeordnete Gottfried Curio und wandte gegen das Kleidungsstück ein, es stehe für „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Die Provokation saß. Im Gegenzug lief der jüngste Abgeordnete, Philipp Amthor (CDU), zur Hochform auf, als er die juristischen Schwächen des Antrags aufzählte. Im Jubel für ihn ging indes unter, daß er ausdrücklich die Zusammenarbeit im Innenausschuß bei diesem Thema anbot und am Beginn seiner Rede klarstellte: „Der politische Islam gehört nicht zu Deutschland!“ 

Etwas im Windschatten der öffentlichkeitswirksamen Aufreger blieben Wortmeldungen, die den Anspruch der AfD-Fraktion, Sachpolitik auch jenseits von Islam und Migration zu betreiben, unterstrichen. So kritisierte der aus Vorpommern stammende Enrico Komning das Vergabechaos bei Fördermitteln für strukturschwache Regionen und forderte mehr gesetzgeberischen Mut, wenn es um Ausnahmeregeln in Sachen Steuersenkungen oder dem Herabsetzen bei investitionsfeindlichen Vorschriften geht.

Und die hessische Abgeordnete Mariana Harder-Kühnel las in der Debatte um das Werbeverbot für Abtreibungen dem Hohen Haus in Sachen Lebensschutz so die Leviten, daß manche Christdemokraten betreten auf ihr Handy schauten.

„Gott sei Dank gibt es noch Richter in Karlsruhe“

Einen Triumph über die Bundesregierung beschied am Dienstag das Bundesverfassungsgericht der AfD. Die Partei hatte gegen Noch-Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) geklagt. Hintergrund war eine von der AfD angemeldete Demonstration unter dem Motto „Rote Karte für Merkel! – Asyl braucht Grenzen!“ im November 2015. Hiergegen hatte Wankas Ministerium auf seiner Internetseite eine Pressemitteilung mit offiziellem Briefkopf veröffentlicht, in der es unter anderem hieß: „Die Rote Karte sollte der AfD und nicht der Bundeskanzlerin gezeigt werden. Björn Höcke und andere Sprecher der Partei leisten der Radikalisierung in der Gesellschaft Vorschub. Rechtsextreme, die offen Volksverhetzung betreiben wie der Pegida-Chef Bachmann, erhalten damit unerträgliche Unterstützung.“

Doch ein solches „Recht auf Gegenschlag“, mit dem staatliche Organe wie Bundesminister oder andere Regierungsmitglieder im parteipolitischen Meinungskampf auf unsachliche oder diffamierende Angriffe in gleicher Weise reagieren dürften, gebe es nicht, beschied der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Das Neutralitätsgebot gelte auch außerhalb des Wahlkampfs. Eine Regierung dürfe die Bevölkerung nicht zur Teilnahme oder Nicht-Teilnahme an Demonstrationen politischer Parteien auffordern, so das Verfassungsgericht. Wanka habe mit ihrem Vorgehen die Chancengleichheit der AfD verletzt und „deren Position im politischen Meinungskampf“ beeinträchtigt. 

AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen sagte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, er habe das Urteil mit Genugtuung aufgenommen. Daß sich der Umgang mit seiner Partei noch nicht normalisiert habe, sehe man an den Ausfälligkeiten Cem Özdemirs vergangene Woche im Bundestag. Meuthen betonte, die Karlsruher Entscheidung, Amtsausübung und Parteipolitik sauber zu trennen, gelte auch für die AfD: „Wir werden daran gemessen, wenn wir entsprechende Positionen besetzen.“ Seine Partei werde weiterhin auf die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit pochen. Co-Parteichef Gauland zeigte sich ebenfalls erfreut: „Gott sei Dank gibt es noch Richter in Karlsruhe.“