© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

Große Angst vor dem Verrat
Parlamentswahl Italien: Eingezwängt im engen Korsett der traditionellen Lager droht weitere Stagnation / Rechtskonservative als Zünglein an der Waage
Marco F. Hermann

Giorgia Meloni, Chefin der rechtskonservativen Fratelli d’Italia (FdI; Brüder Italiens), setzte im römischen Teatro Adriano Zeichen. „Ich schwöre bei meiner Ehre: ich werde immer zuerst ein Patriot im Dienste meiner italienischen Brüder sein – ich werde euch nicht verraten!“ beendete sie ihre Ansprache vor den anwesenden Wählern und Parteigenossen. Die übrigen FdI-Kandidaten sprachen den Schwur nach. Es war der Höhepunkt der Parteiveranstaltung am 18. Februar, die von einer Kranzniederlegung am Grab des unbekannten Soldaten besiegelt wurde. 

Ein Heimspiel für die 41jährige Römerin, die lange Zeit als mögliche Bürgermeisterin der Hauptstadt gehandelt wurde. Daß Meloni die sichere Wahl  2016 verlor, hing mit der Machtpolitik Silvio Berlusconis zusammen, der aus dem Bund der rechten Parteien ausscherte und eine eigene Kandidatin kürte. Ergebnis: Virginia Raggi vom „Movimento 5 stelle“ (5-Sterne-Bewegung) Beppe Grillos wurde zur ersten weiblichen Bürgermeisterin der Ewigen Stadt gekürt.

Zweifel an Berlusconis wahren Interessen 

Nun scheint das rechte Lager aus seinem Fehler gelernt zu haben. Berlusconis Forza Italia tritt bei der Parlamentswahl am 4. März gemeinsam mit Matteo Salvinis Lega Nord und den Fratelli d’Italia als Bündnis an. Doch die Spannungen bleiben. Bei der Veranstaltung am 18. Februar hatte Meloni zwei Stühle für ihre möglichen Koalitionspartner reserviert. Doch beide blieben leer. Salvini ließ sich wegen anderer Wahlkampftermine entschuldigen. Berlusconi nannte die Veranstaltung „schädlich“. Meloni reagierte spöttisch: „Ich habe ehrlich keine Ahnung, was an unserer Aktion schädlich war. Schädlich ist sie nur für den, der faule Kompromisse machen will.“

Die FdI ist die Nachfolgepartei der Alleanza Nazionale (AN). Sie war 2009 in Berlusconis Mitte-Rechts-Partei aufgegangen, die 2012 wieder zerbrach. Meloni spielte damals eine entscheidende Rolle,  da sie die Führung Berlusconis kritisierte. Die „Brüder Italiens“ – der Name ist eine Anspielung auf die italienische Nationalhymne – konstituierten sich unter ihr maßgeblich neu. Der Wahlspruch „Wir verraten euch nicht“ ist dabei kein bloßes Pathos. Die Gerüchte in Rom sind allgegenwärtig, daß Berlusconi einen Deal mit Angela Merkel gemacht habe: im Wahlkampf mit Rechts paktieren, im Parlament dann mit den Sozialdemokraten regieren. 

Melonis Partei ist die kleinste Partei des rechten Spektrums, könnte jedoch bei den Parlamentswahlen am 4. März eine strategisch wichtige Rolle spielen. Salvinis rechtsregionalistische Lega Nord verbucht seit Jahren Wahlerfolge in den reichen Regionen des Nordens, ist aber im Zentrum und Süden so gut wie nicht präsent. Die FdI dagegen bringt sich genau dort in Stellung, mit dem Schwerpunkt auf der Hauptstadtregion Latium und der Stiefelspitze samt Sizilien. In diesen Regionen wird die Wahl entschieden. Die Rechtskonservativen liegen laut Umfragen bei fünf Prozent und sind damit sicher im Parlament – in Italien liegt die Sperrklausel bei nur drei Prozent.

Der Süden ist auch deswegen ein „Swing state“, weil er am meisten unter der Zuwanderung leidet. Zwar erklärte der italienische Innenminister Marco Minniti die Krise für beendet, da die illegale Einwanderung aus Libyen um 90 Prozent abgenommen habe. Doch  viele Italiener werten dies als Beschwichtigung, die sie nicht überzeugt. Die Zerstückelung der 18jährigen Pamela Mastropietro in Macerata spielt dabei ebenso eine Rolle wie eine immer mächtiger werdende nigerianische Mafia, die junge Frauen aus Afrika einschleust, um diese dann zur Prostitution zu zwingen. 

Die Migrationsfrage ist seit Jahren das Thema der Lega und der FdI. Aber es geht Meloni nicht nur um qualifizierte Einwanderung. „In Italien werden immer weniger Kinder geboren, die Bevölkerung überaltert, und die Immigration steigt“, resümiert Meloni. Eine Regierung aus Patrioten müsse das Thema auch in Europa ins Gespräch bringen. „Wir brauchen spezifische EU-Gelder, die niedrige Geburtenrate ist nicht nur ein italienisches Problem.“ Meloni möchte die Mehrwertsteuer für Babyprodukte senken, mehr Kindertagesstätten einrichten und 400 Euro monatlich pro Kind. 

Grillos 5-Sterne könnten stärkste Einzelpartei werden 

Während die FdI seit Wochen in den Umfragen zulegt, liefert sich Salvinis Lega (14 Prozent) ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Berlusconis Forza Italia (16 Prozent). Obwohl das rechte Lager in Zeiten der Migrationskrise und der größer werdenden EU-Skepsis der Italiener hinzugewonnen hat, ist das Zweckbündnis mit vorausgesagten 35 Prozent weit von der absoluten Mehrheit entfernt. Dahinter folgt der Movimento 5 stelle (27 Prozent) mit dem Spitzenkandidaten Luigi di Maio, der als gebürtiger Süditaliener ebenfalls den Wahlkampf auf den Mezzogiorno konzentriert. 

Die Wahlalternative von Beppe Grillo, die seit einiger Zeit auch eine EU-skeptische und einwanderungskritische Linie fährt, inszeniert sich als Antwort auf die „Politikerkaste“ und könnte stärkste italienische Einzelpartei werden. Dem regierenden Partito Democratico der Linken, der in Umfragen mit 23 Prozent noch hinter dem M5s rangiert, wird für den Wahltag ein Desaster vorausgesagt. Verantwortlich ist dabei nicht nur die zögerliche Migrationspolitik, sondern auch die Abspaltung der Linksextremen, die nun gesondert zur Wahl antreten (fünf Prozent).

Für den Wahltag droht damit ein ähnliches Szenario wie bereits 2013: Keines der traditionellen Lager hat eine eigene Mehrheit, während der M5s Totalopposition betreibt. Es mangelt dabei nicht an Vorwürfen des Treuebruchs im Vorfeld der Wahlen: Während die Rechten Berlusconi ein Interesse an einer großen Koalition mit den Sozialdemokraten unterstellen, inszenieren die Linken das Schreckgespenst einer Koalition aus M5s und Lega. Matteo Renzi, der Ex-Premier und neuerliche Spitzenkandidat des PD, warnte bereits vor einer großen Koalition der Populisten.

Melonis Meinung zum Wahlausgang fällt nicht weniger deutlich aus. „Die nächste Regierung muß eine Regierung der Patrioten sein“, erklärt die Parteivorsitzende – und wird kämpferisch. „Und man sollte den Bürgern offen sagen: entweder gewinnt Mitte-Rechts, oder es regiert das Chaos.“