© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

Wenn Langeweile um sich greift
Einschläferung: Ein Literaturwissenschaftler wendet sich gegen die Uniformierung der Wirklichkeit
Richard Stoltz

Wir ersticken in Langeweile, notierte kürzlich der Literaturwissenschaftler Manfred Schneider in der Neuen Zürcher Zeitung. Die große Politik werde immer langweiliger, stöhnt er, und so auch die zugehörige Berichterstattung. Der interessierte Zeitgenosse komme vor lauter Informationskonsum gar nicht mehr zum Nachdenken, zum Ordnen der Nachrichtenfülle, zum Auswählen und Meinungbilden. Und eben das sei der Anfang der Langeweile. 

Schneider zeigt sich höchst verwundert über die Misere. Er gibt sich in seinem Aufsatz als guter Schweizer Bürger zu erkennen, der sich über den „Prunk-Überfluß“ der einstmals herrschenden feudalen Gewalten lustig macht und ihn als Langweile-Dämpfer strikt ablehnt. „War es doch“, so schreibt er stolz, „der Wille der bürgerlichen Reformer, den Prunk, den Überfluß und die leeren Rituale der aristokratischen Herrschaft zu beenden. Erst die Abrüstung der Privilegien, Paraden, Hofämter und die Durchleuchtung der Macht brachten das moderne politische System hervor, das aus Wahlen, Debatten, Programmen, Entscheidungen, Gesetzen und Verträgen besteht.“ Freilich muß Schneider feststellen, daß den modernen Konsumenten die dargebotenen Debatten viel mehr langweilen als die alten aristokratischen Paraden und Hofzeremonien. Diese hatten doch immerhin Glanz und Unterhaltungswert, die heute in den Medien mühsam nachgeliefert werden müssen. 

Nun, die Lage wird offenbar immer gefährlicher. Denn wie notierte einst schon George Bernard Shaw? „Die meisten Kriege brechen nicht wegen Hungersnöten aus, sondern wegen Langeweile.“