© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

Tendenziell totalitär, entschieden antitotalitär
Aktionskunst: Ein Vergleich des Zentrums für Politische Schönheit mit der Identitären Bewegung
Thorsten Hinz

Die Auftritte des „Zentrums für Politische Schönheit“ (ZPS) – einer Gruppe aus Aktionskünstlern und sogenannten Kreativen – und der Identitären Bewegung haben entgegengesetzte Ziele. Ihre Ästhetiken hingegen ähneln sich; sogar von einer „Wesensverwandtschaft“ ist die Rede.

Die Aktion „Defend Europe“, welche die Identitären mit dem Schiff „C-Star“ im Mittelmeer durchführten, war das Gegenstück zum ZPS-Spektakel „Die Brücke – Retten wir Europas Humanität“, bei dem – scheinbar – eine feste Überführung von Afrika nach Europa errichtet werden sollte. Mit dem Transparent „Sichere Grenzen – Sichere Zukunft“ auf dem Brandenburger Tor in Berlin antworteten die Identitären auf die ZPS-Aktion „Die Toten kommen“. Die Zentrums-Akteure hatten vor dem Reichstagsgebäude 50 Gräber ausgehoben, um gegen die angebliche Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen zu protestieren. Das „Europäische Denkmal für die Opfer von Multikulti und islamistischem Terrorismus“, das die Identitären im Dezember 2017 mit Betonsteinen vor dem Brandenburger Tor in Berlin errichteten, bildete die Entsprechung zum Stelenfeld, welches das ZPS dem AfD-Politiker Björn Höcke vor die Haustür gesetzt hatte.

Kunstmanifeste greifen zum Mittel des Pathos

Gemeinsam ist beiden der Gestus des Protests gegen eine als falsch empfundene Politik. Gemeinsam ist ihnen auch der existentielle Impuls, der über den jeweiligen Anlaß hinaus auf einen umfassenden Lebens- und – bei den Zentristen – Weltentwurf zielt. „Schönheit ist das Erdbeben unserer Existenz“, heißt es im Manifest „Wenn nicht wir, wer dann?“ von ZPS-Chef Philipp Ruch. Der 36jährige nennt sich einen „Chefunterhändler“ der „politischen Schönheit“ und hat nach eigener Einschätzung eine „politische Vision ausgeprägt, die in der Lage ist, Milliarden Menschen den Wert zu geben, der ihnen zusteht“.

Der Identitäre Mario Müller sieht seine Bewegung in der Nachfolge von Eroberern, Entdeckern, Freibeutern, Kreuzrittern. „Wir fahren mit schwarzen Segeln ins Nichts, um uns unsere Zukunft zurückzuholen.“ Er fordert: „Her mit dem schönen Leben!“ Martin Sellner, das identitäre Gesicht im deutschsprachigen Raum, erklärt das Konzept der „ästhetischen Intervention“ wie folgt: „Wir wollen die Herzen in Brand setzen, etwas in Bewegung bringen, die entscheidenden Fragen erneut, tiefer und mit politischen Folgen stellen. Die geistige Unruhe, der schlafende Furor teutonicus, das ewig unzivilisierbare, urdeutsche Fieber, das uns aus germanischen Urwäldern wie aus gotischen Kathedralen entgegenstrahlt, versammelt sich in uns.“ 

Der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich hat aufgrund dieser Bekenntnisse auf die Inspiration beider Seiten durch Martin Heidegger hingewiesen. Mit ihrer Aktionskunst solle „das Ungeheure aufgestoßen und das bislang geheuer Scheinende umgestoßen“ werden. Sein Kollege Daniel Hornuff urteilt drastischer: „Seit’ an Seit’ marschieren ZPS und Neue Rechte für ein totalitäres Verständnis von Politik.“

Nicht alles muß sofort im Herzen der Finsternis verortet werden. Schon immer haben die Verfasser von Kunstmanifesten zum Mittel des Pathos gegriffen und behauptet, den archimedischen Punkt gefunden zu haben, von dem aus sie die Welt aus den Angeln heben wollten. Marinetti donnerte 1909 in seinem Futurismus-Traktat: „Wir erklären, daß sich die Herrlichkeit der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: die Schönheit der Geschwindigkeit.“ Er schwärmte von der „angriffslustigen Bewegung, der fiebrigen Schlaflosigkeit, dem Laufschritt, dem Salto mortale, der Ohrfeige und dem Faustschlag.“ André Breton klang in seinem Surrealismus-Aufruf von 1924 sanfter, doch nicht weniger bestimmt: „Kann nicht auch der Traum zur Lösung grundlegender Lebensfragen dienen? (…) Enthält der Traum weniger Gesetzeskraft als das übrige Leben?“

Globalisierung und ihre Folgen sind der Bezugspunkt

Im Aufsatz „Kunst ist Waffe“ dekretierte der Dramatiker Friedrich Wolf 1928 in Fettdruck: „Es gibt nur einen greifbaren Punkt in der Ewigkeit; das ist die Gegenwart!“ Und die war laut Wolf definiert von der sozialen Frage. Deshalb sah er den „Dichter als Trommler neben der Fahne“ – der Fahne der KPD, die eine Weltrevolution anstrebte. Wenn Martin Sellner jetzt eine „revolutionäre Aussage“ verkündet, die aus „einer echten Erkenntnis der Zusammenhänge von Globalisierung, Migration, Entfremdung und Moderne“ kommt, stellt er sich lediglich in eine bewährte Künstlertradition.

Tatsächlich sind die Globalisierung und ihre Folgen sowohl für das ZPS wie für die Identitären der Bezugspunkt. Die meisten Politiker halten es für einen unabänderlichen systemischen Zwang, daß zur Freizügigkeit für Waren, Dienstleistungen und Kapital nun auch die Personenfreizügigkeit tritt, also der Ansturm auf Europa. Damit stehen die heute 20- bis 30jährigen vor der Aussicht, die erste Generation zu sein, die im eigenen Land zur nationalen Minderheit wird, oder – so Mario Müller – „die letzte Generation, die das uns drohende Schicksal noch abwenden kann“. Ruch zieht eine konträre, außerordentlich kühne Schlußfolgerung. Die Globalisierung eröffne „die historisch einmalige Aussicht auf Humanität und die Durchsetzung der Rechte des Menschen“. Er gibt sich als radikaler Vertreter der Hypermoral zu erkennen, der potentiell die ganze Welt in Europa und Deutschland einzugemeinden wünscht.

Sellner nennt die Kunstübungen der Linken „verkrampft und bemüht“, weil ihre „Sehnsucht nach Ästhetik an der politischen Borniertheit scheitert“. Den Identitären gelänge es hingegen, „zugleich provokant und ästhetisch“ zu sein. Das ist etwas simpel. In Wahrheit liegen die formalen Qualitäten des ZPS und der Identitären nahe beieinander. Sie wirken aber in unterschiedliche Richtungen: Die einen stellen sich dem „Großen Austausch“ (der in Harvard Politische Theorie lehrende Yascha Mounk sprach in den ARD-Tagesthemen von einem „historisch einzigartigen Experiment“) entgegen und wollen den systemischen Zwang als ein verdinglichtes falsches Bewußtsein widerlegen; die anderen bestätigen und bejahen den Zwang und wollen die letzten Dämme niederreißen. Der zweite Unterschied ist ein quantitativer: Die Aktionen des Zentrums sind größer dimensioniert und dauerhafter; die Projekte der Identitären sind überwiegend Kurzzeit-Aktionen, deren Wirkung auf dem Überraschungsmoment beruht.

Unterschiede in der Stellung zur Macht

Der Grund dafür ist banal: Das ZPS verfügt über ungleich größere Ressourcen. Seine Schwarmfinanzierung mittels Spendenkampagnen wird medial unterstützt; die Spenden- und Privatkonten Martin Sellners wurden durchweg gekündigt. Die Eingriffe in den öffentlichen Raum durch das ZPS werden von den Behörden mit Nachsicht behandelt; vergleichbare Aktionen der Identitären rufen sofort die Polizei auf den Plan. Die einen genießen das Wohlwollen der Politik und der Medien; die anderen stehen im Fokus des Verfassungsschutzes, was das persönliche Risiko der Beteiligten und die Berührungsängste potentieller Sympathisanten noch steigert. 

Das Zentrum für Politische Schönheit und die Identitären unterscheiden sich also vor allem und grundsätzlich in der Stellung zur Macht! Der Protestgestus des Zentrums ist eine tendenzielle Affirmation. Indem das ZPS die sperrangelweit offene Zuwanderungspolitik der Regierung als restriktiv kritisiert, simuliert sie einen gesellschaftlichen Druck, der zur Ausweitung dieser Politik ermuntert. Wenige Wochen nach der Aktion „Die Toten kommen“ hat Merkel die Grenze geöffnet. Faktisch handelt es sich um eine Staats- beziehungsweise Systemkunst auf der einen und auf der anderen Seite um eine politische Aktionskunst, die den Konflikt mit der Staatsmacht wagt.

Die Koinzidenz mit der Macht ermöglicht es Borderline-Typen wie Philipp Ruch – dessen Manifest das postpubertäre Elaborat eines Narzißten ist – tatsächlich, den unverbindlichen Künstler- in einen totalitären Machttraum zu überführen und auszuleben. So mit dem aus Politik und Medien allseits beklatschten Stelenfeld vor Höckes Haus (JF 49/17). Nachdem die behauptete Kamera-Überwachung des Politikers sich als ein Gag herausstellte, wurde sie als Beleg für die Paranoia der ZPS-Kritiker angeführt. Doch wer sich als Organ des Überwachungs- und Gesinnungsstaates gebärdet, dem traut man auch den Voyeurismus mit der Kamera zu.

Die semistaatliche Funktion des ZPS hat der Publizist Milosz Matuschek, ein „bekennender Spender für das Stelenfeld“, in der Neuen Zürcher Zeitung offen zugegeben: Das Zentrum trete in Aktion, wo „der Verfassungsschutz in Thüringen auf dem rechten Auge manchmal blind scheint“. Philipp Ruchs Forderung an Höcke, vor den Stelen niederzuknien, bekräftigt nicht nur den Herrschafts- und Unterwerfungsanspruch, sie hat auch eine ironische Pointe. Bekanntlich handelt es sich um eine Miniatur-Ausgabe des Holocaust-Mahnmals in Berlin, was die Frage aufwirft, ob die ZPS-Aktion dessen innerste Intention enthüllt.

Die Identitären und das Zentrum für politische Schönheit marschieren keineswegs „Seit’ an Seit’“, sondern es treffen tendenziell totalitäre auf entschieden antitotalitäre Intentionen. Wer als Sieger vom Platz geht, wird allerdings auf anderen Kampffeldern als auf dem der Kunst entschieden.