© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 10/18 / 02. März 2018

Die unsichtbaren Auslöser von Revolutionen
Über die Uhren des Systems Erde: Ein Einstieg ins Wunderland der Isotopengeochemie
Dieter Menke

Die chemischen Elemente bestehen aus Mischungen ihrer Isotope. Das sind Atomspezies, die sich durch die Zahl ihrer Neutronen unterscheiden, während die Zahl der Protonen, die die Ordnungszahl eines Elements definiert, konstant bleibt. So stehen alle Isotope eines Elements im Periodensystem am gleichen Ort (griechisch: ísos tópos). Friedhelm von Blanckenburg vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam frischt mit solchen knappen Erläuterungen zunächst einmal Grundwissen auf, um Laien sowie Forschungsgelder bewilligenden Politikern den Einstieg in die Isotopengeochemie zu erleichtern (System Erde – GFZ-Journal 2017).

Isotope spielen bei der Altersbestimmung der Erde eine zentrale Rolle. Für von Blanckenburg haben sie in den letzten 50 Jahren sogar gleich drei „geowissenschaftliche Revolutionen“ ausgelöst. Nur die Isotopengeochemie ermöglichte es, erstens, für die Entstehung der Sonne und des Proto-Planetensystems ein präzises Alter von 4.567 Millionen Jahren anzugeben und die „Fertigstellung“ der Erde auf 30 Millionen, die des Mondes auf 110 Millionen Jahre später zu datieren. Diese verblüffend exakten Zeitbestimmungen durch Isotope, diese „Uhren des Systems Erde“, ergeben sich aus Messungen seltener Atomspezies wie Uran-238 und dem nicht radioaktiven Blei-206 an zeitgleich mit dem Planetensystem entstandenen Chondrit-Meteoriten sowie an Mondgestein.

Das physikalische Prinzip dieser Messungen ist der radioaktive Zerfall. Die Halbwertzeiten radioaktiver Isotope betragen Hunderte von Millionen Jahre. Von ihnen enthält jede geologische Probe Mengen von „Mutter“- und, als Zerfallsform, „Tochter“-Isotopen. Da eine „Mutter“ immer zu einer „Tochter“ zerfällt, ihre Summe aber stets gleich bleibt, lasse sich, da die Halbwertzeit radioaktiver Isotope bekannt ist, so resümiert von Blanckenburg, das Alter des Minerals und damit ein geologischer Prozeß wie ein vorzeitlicher Vulkanausbruch oder die Deformation eines Gesteins bei der Gebirgsbildung, sicher datieren.

Die zweite fundamentale Entdeckung gelang mit dem Radioisotop Kalium-40 (40K), gewonnen aus Basaltproben vom Ozeanboden. Hier ließ sich aus der Zerfallszeit von 40K zum stabilen Argon-40 eine symmetrische Anordnung der unterschiedlichen Alter solcher „Fußabdrücke“ des Ozeanbodens mikroanalytisch rekonstruieren: von null Jahren an den mittelozeanischen Rücken bis zu 180 Millionen Jahren an den Kontinentalrändern. Damit war „ein Grundbaustein der Plattentektonik“ gefunden.

Die dritte „Revolution“ bewirkte die Isotopengeochemie in der Klimaforschung. Um 1970 konnten Paläoozeanographen anhand der Relationen zwischen den Sauerstoffisotopen 18O und 16O in Kalkschalen mariner Kleinstlebewesen nachweisen, daß das Klima der Erde alle 40.000 bis 100.000 Jahre zwischen Warm- und Kaltzeit pendelt.

Hochvakuumpumpen und Spitzenelektronik vereint

Die kontinentale Eismasse veränderte sich in den letzten 2,5 Millionen Jahren ständig, je nach Sonneneinstrahlung und damit nach der Stellung der Erde zur Sonne. Eine wahrhaft glänzende Bestätigung der Hypothese des serbischen Mathematikers Milutin Milankovic, der um 1920 behauptet hatte, das Erdklima schwanke aufgrund der Achsenneigung unseres Planeten und der Form der Ellipse seiner Laufbahn um die Sonne in Tausenden von Jahren oszillierenden Zyklen.

Die technischen Voraussetzungen für solche „Durchbrüche“ der Isotopenforschung schufen zwei Milankovic-Zeitgenossen, die Physiker Joseph John Thomson, einer der Väter der modernen Elektronentheorie, und Arthur Jeffrey Dempster, der Entdecker des Uran-235. Zwischen 1900 und 1918 konstruierten sie Vorläufer des Massenspektrometers, des „Arbeitstiers“ der Isotopengeochemie. Das Prinzip dieser PC-gesteuerten Edelstahl-Wunderwerke, die surrende Hochvakuumpumpen und Spitzenelektronik vereinen, erscheint in von Blanckenburgs wiederum didaktisch einprägsamer Reduktion beinahe simpel.

Gehe es doch lediglich darum, mit diesen Geräten das in einer Probe vorliegende Element in verschiedene Isotope zu „zerlegen“ und deren relative Häufigkeit zu messen. Dazu erhalten die Atome des „Elements von Interesse“ zunächst eine elektrische Ladung, werden ionisiert und in den Ionenbeschleuniger geschickt. Mit hoher Geschwindigkeit rasen sie anschließend in einem Vakuumrohr durch einen Elektronenmagneten. Hier lassen sich die leichten Ionen bei gleicher elektrischer Ladung stärker nach innen ablenken. Ein Detektor registriert schließlich die Stromstärke ankommender Ionen und erfaßt die relativen Isotopenhäufigkeiten, die dann Altersbestimmungen ermöglichen.

Dank des Massenspektrometers, das es in allen Größen gebe, vom Streichholzschachtel-Format, das auf Weltraumsonden installiert ist, bis zu Beschleunigungsmassenspektrometern, die Turnhallen füllen, verfüge die Isotopengeochemie über die „grundlegende Methode der modernen Geowissenschaften“. Ihre Bedeutung für das Verständnis des Systems Erde und der umweltpolitisch relevanten Fragen – von der Ressourcen- bis zur Klimaforschung – werde daher stetig zunehmen.

Aber vorerst vermutlich nicht auf jenem Sektor, der von Blanckenburgs Phantasie am meisten beflügelt: der Erkundung des Potentials außerirdischen Lebens mittels Isotopenmessung auf dem Mars und den Asteroiden. Realistischer klingen da die Ankündigungen demnächst vorzeigbarer Erfolge. Gasisotope in Flüssigkeiten und Gasen könnten neue Informationen über Erdbebenhäufigkeiten liefern. Ebenso plausibel klingt, wenn der Potsdamer Geowissenschaftler verspricht, die Entstehung von Energie- und metallischen Rohstoffen aufklären und damit deren effiziente Nutzung verbessern zu können.

Gleichfalls keine Utopie ist, die Verfügbarkeit mineralischer Nährstoffe in landwirtschaftlich genutzten Böden im Kontext der Geodynamik, wie Hebung und Erosion, erklären zu können, um einen Beitrag zur Entwicklung zielgerichteter Düngemittel zu leisten – für eine Erde, die ab Mitte des 21. Jahrhunderts elf Milliarden Menschen ernähren muß.

System Erde – GFZ-Journal:  gfz-potsdam.de/





Potsdamer Geoforschungszentrum

Das Helmholtz-Zentrum Potsdam –Deutsches Geoforschungszentrum (GFZ), 1992 entstanden aus dem 1969 gegründeten DDR-Zentralinstitut für Physik der Erde (ZIPE), ist seit 2008 das nationale Zentrum für die Erforschung der festen Erde. Das ZIPE wiederum geht letztlich zurück auf das Königlich Preußische Geodätische Institut, das 1870 in Berlin gegründet wurde und 1892 seinen heutigen Standort am Telegrafenberg in Potdam fand. Hier gelang 1904 den Mathematikern Friedrich Kühnen (1858–1940) und Philipp Furtwängler mit Reversionspendeln die Absolutbestimmung der Erdschwere (9,81274 Meter pro Quadratsekunde). 1909 wurde dies internationaler Bezugswert. Im ZIPE gingen dann auch die Reichszentrale für Erdbebenforschung, das Geotektonische und das Institut für Physikalische Hydrografie Berlin auf. Das GFZ ist noch breiter aufgestellt und untersucht heute „die Geosphäre im hochkomplexen System Erde mit den weiteren Teilsystemen und ihren ineinandergreifenden Kreisläufen und weitverzweigten Ursache-Wirkungs-Ketten“.