© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Xenia Sobtschak fordert Präsident Putin heraus. Doch hinter ihrer Kandidatur steckt mehr.
Wahnsinn mit Methode
Thomas Fasbender

Es gibt Menschen, in deren Biographie offenbart sich der Gang der Dinge wie in einem Spiegel. Ein solcher Mensch ist die 1981 in Sankt Petersburg geborene russische Präsidentschaftskandidatin Xenia Sobtschak. Dabei geht es nicht um die am 18. März anstehende Wahl, die wird sie haushoch verlieren. Die Tochter Anatolij Sobtschaks – des Bürgermeisters von Petersburg und führenden Modernisierers der Wendezeit – kennt Präsident Putin von Kindesbeinen an. Anders als oft behauptet, ist er zwar nicht ihr Taufpate, doch es war ihr Vater, der seinen ehemaligen Studenten Putin 1990 in die Petersburger Stadtverwaltung holte. 

Nachdem die Demokratisierung des Landes im Chaos der neunziger Jahre gescheitert war, sorgte Putin als neuer Präsident für Ordnung. Wer oben schwamm, der scheffelte Geld und durfte feiern. Jung, schön und selbstbewußt, avancierte Xenia Sobtschak in jenen Jahren zum Party-Girl. Sie war Rußlands Antwort auf Paris Hilton: Glamour, Glanz und Kaviar. Allerdings besitzt sie auch ihres Vaters scharfen Verstand, ist schlagfertig und kennt keine Angst. Acht Jahre moderierte sie die meistgesehene Reality-TV-Show des Landes. Mit Werbung verdient sie über zwei Millionen Dollar im Jahr. Millionen junger Russen verfolgen ihre Instagram-Posts, und ihr Bestseller „Wie heirate ich einen Millionär“ verkaufte sich hunderttausendfach.

Und diese Frau will Präsidentin werden? Vielleicht ist es wie so oft in Rußland: Der Wahnsinn hat Methode. Nicht in dem Sinn, daß alles nur ein Kreml-Manöver wäre, um nach dem Startverbot für den populärsten Oppositionellen Alexej Nawalnij wenigstens eine Kandidatur mit politischem Sex-Appeal aufzubieten. (Das auch, natürlich.) Vor allem geht es darum, daß die Loyalität der Oberschicht bröckelt und jeder weiß, daß selbst Putin nicht nur auf die einfachen Leute gestützt regieren kann. Wenn aber Sobtschak den Unzufriedenen Hoffnung gibt, weiß der Kreml wenigstens: Sie ist eine von uns.

Denn das ist die große Angst der Elite: die vor einer „Farbenrevolution“. Wie begründet oder unbegründet ihr Mißtrauen ausländischen Machenschaften gegenüber auch sein mag – es grenzt an Paranoia. Und die wiederum nährt das Dilemma, daß man gleichzeitig und vergeblich nach konstruktiver und – vor allem – loyaler Kritik lechzt.

Sobtschaks politische Karriere begann bei den großen Anti-Putin-Protesten Ende 2011. „Ich heiße Xenia Sobtschak und habe einiges zu verlieren“, rief sie einem gellend pfeifenden Publikum entgegen. Oft wird übersehen, daß von allen Aktivisten des Widerstands 2011/12 außer Nawalnij nur noch Sob­tschak in Erscheinung ist. Jetzt hat sie sich mit Putin getroffen, hat ihre Kandidatur abgestimmt. Xenia Sobtschak, die (noch) alle Zeit der Welt hat, setzt auf Opposition aus dem System heraus.