© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

CD-Kritik: Jean Sibelius – Leif Ove Andsnes
Heilignüchtern
Jens Knorr

Auf den seelenkundlichen Schmarrn, daß ein norwegischer Pianist naturgemäß Spezialist für nordische Klaviermusik sein müsse, hat Leif Ove Andsnes ironisch bis sarkastisch reagiert. Weil er Distanz zu Volkstümeleien aller Arten wahrt, wird er Stücken skandinavischer Komponisten weit mehr gerecht als viele, die sie zu Landschaftsbildern auspinseln. Andsnes verdanken wir belangvolle Interpretationen von Kompositionen Griegs und nun auch von Kompositionen Jean Sibelius’.

Aus den 19 Werken mit Opus-Zahl hat Andsnes eine – seine! – Auswahl getroffen, Bekanntes und Unbekanntes, Frühes bis Spätes aus den Werkzusammenhängen herausgelöst und zu einer – seiner! – fortlaufenden Erzählung komponiert. Hier geht das auf! Mit präzisem Anschlag und schwebendem Klang, klar und nicht verwässert, klangfarbenreich und nicht eingedickt, lotet Andsnes verborgene Neuerungen aus, geht auch leichtgewichtigen Stücken auf den Grund und hilft sogar Sibelius’ eigener Klavierfassung seines nicht totzukriegenden „Valse triste“ mit einigen Eingriffen auf. Sein heilignüchternes Spiel ruft im Hörer berauschende Bilder herauf, und, ja doch, auch von Landschaften.

Sibelius’ Schutzbehauptung, daß ihn das Klavier eigentlich nicht interessiere, weil es nicht singen könne, ist widerlegt. Andsnes spielt Sibelius, und das Klavier singt. 

Sibelius Leif Ove Andsnes Sony Classical 2017  www.andsnes.com