© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Wider die bayerische Betonflut
Ein Volksbegehren will das Tempo der Bodenversiegelung reduzieren / 13,1 Hektar täglich zugebaut
Paul Leonhard

Amerika, du hast es besser als unser Kontinent, schrieb Goethe vor 119 Jahren. Heute ließe sich formulieren: „Bayern, du hast es besser!“ Nicht nur Neuschwanstein, auch das Prinz-Carl-Palais oder die Bayerische Staatskanzlei sind ansehnlicher als der Kanzleramtsbetonklotz in Berlin. 37,3 Millionen Touristen – davon ein Viertel aus dem Ausland – wählten den Freistaat als Reiseziel. Der stärkste Gästezuwachs kam aus Rußland, China und den USA. Wichtigster Erfolgsgarant sei dabei, „den Zeitgeist zu erkennen, ohne die Tradition zu vernachlässigen“, erklärte Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU).

Watzmann und Zugspitze sind nicht in Gefahr, und die Chiemsee-Inseln verteidigt die Bayerische Verwaltung der staatlichen Schlösser, Gärten und Seen. Aber ansonsten gehen die Unbilden des Zeitgeistes auch an Bayern nicht vorbei. „Betonflut eindämmen! Damit Bayern Heimat bleibt“, heißt denn auch ein Volksbegehren „gegen den Flächenfraß“, also die zunehmende Versiegelung des Bodens. Was verbal nach AfD, Bayernpartei oder Freien Wählern klingt, wird allerdings von der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP), den Grünen, der 1980 entstandenen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), dem 1909 in Bamberg gegründeten Landesbund für Vogelschutz (LBV), der Katholischen Landvolkbewegung (KLB) und dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) unterstützt. Bis Ende Dezember unterzeichneten mehr als 46.000 Personen ihren Aufruf. Im Januar und Februar wurden die Unterschriften von den Kommunalbehörden geprüft, in dieser Woche sind sie der Staatsregierung in München übergeben worden.

Ziel ist es, mit einem Landesgesetz den landesweiten Flächenverbrauch für Siedlungs- und Verkehrsanlagen auf maximal fünf Hektar einzugrenzen. Derzeit werden im Schnitt 13,1 Hektar Fläche täglich zugebaut. „Das entspricht mehr als 18 Fußballfeldern. Auf das ganze Jahr gerechnet sind es 4.781 Hektar, in etwa eine Fläche von der Größe des Ammersees“, heißt es in der Begründung zum Volksbegehren. „Seit 2000 wurde eine Fläche so groß wie die Städte München, Nürnberg, Augsburg, Regensburg und Fürth zusammen von der Betonflut überspült“, schreiben die Initiatoren.

Das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) hat in einer Studie auf die „übermäßige Versieglung von Böden“ hingewiesen. Wenn immer mehr Boden durch den Bau von Straßen, Häusern und Industrieanlagen unter Beton, Asphalt oder Pflastersteinen verschwindet, führe das zu irreparablen Umweltschäden. Flächen, die überdeckt werden, könnten kein Regenwasser mehr aufnehmen oder speichern, was bei starken Regengüssen das Risiko örtlicher Überschwemmungen berge. Überdies heizten die versiegelten Flächen die Stadtluft zusätzlich auf, und es gehe wertvoller Lebensraum für Tiere und Pflanzen oft für immer verloren, heißt es in der LfU-Studie „Satellitengestützte Erfassung der Bodenversiegelung in Bayern 2015“.

Bayern droht sein Gesicht zu verlieren

Bayern hatte als erstes Bundesland den Grad seiner Versiegelung 2007 detailliert untersuchen lassen. Damals analysierte die Universität Würzburg anhand von Satellitenbildern aus dem Jahr 2000 den Anteil der versiegelten Fläche in den Städten, Gemeinden, Landkreisen und Regionen. Eine Untersuchung, die 2015 wiederholt wurde. Es stellte sich heraus, daß die Siedlungs- und Verkehrsflächen 2000 zu rund 47 Prozent versiegelt waren, 15 Jahre später zu 51 Prozent. Ohne auf die örtlichen Ursachen detailliert einzugehen, hielt das LfU fest, daß grundsätzlich eine „verstärkte Innenentwicklung und damit einhergehende Nachverdichtung“ sowie der „Ausbau des Verkehrsnetzes mit zusätzlichen oder breiteren Straßen“ zu diesem Ergebnis geführt haben.

Die versiegelte Fläche in Bayern entsprach zu diesem Zeitpunkt mit gut 4.200 Quadratkilometern nahezu der achtfachen Fläche des Bodensees und hatte seit dem Jahr 2000 durchschnittlich um 44,7 Quadratkilometer pro Jahr zugenommen, beklagen die Initiatoren des Volksbegehrens. Der Charakter Bayerns, der durch über Jahrhunderte gewachsene Städte und Dörfer sowie schöne Landschaften geprägt sei, drohe durch immer mehr Gewerbegebiete, Discountmärkte und Logistikzentren auf der grünen Wiese verlorenzugehen: „Bayern droht sein Gesicht zu verlieren.“

Ein Aufruf zum freiwilligen Flächensparen war erfolglos. „Bayern ist leider Spitzenreiter beim Flächenverbrauch, bei der Vernichtung der Produktionsbasis der Landwirtschaft, bei der Verarmung der Lebensräume und bei der Verschärfung der Hochwassergefahren“, konstatiert ÖDP-Landesvorsitzender Klaus Mrasek. Überraschend viele engarierte Bayern sehen das ähnlich, denn die für die Beantragung eines Volksbegehrens beim bayerischen Innenministerium notwendigen mindestens 25.000 Unterschriften wurden weit übertroffen.

Wird der Antrag im Laufe dieses Jahres nun von der Staatsregierung zugelassen, müssen binnen zwei Wochen mindestens zehn Prozent der Stimmberechtigten im Freistaat für den Antrag stimmen. Dann wird dem Landtag ein Entwurf zur Änderung des Landesplanungsgesetzes vorgelegt, der von der grünen Landtagsfraktion bereits erarbeitet worden ist. Sollte eine Mehrheit der Abgeordneten diesen ablehnen, kommt es zu einem Volksentscheid.

Daß ausgerechnet die Grünen gegen den Bauboom mobil machen, ist nicht frei von Komik: Geht es nicht um Autobahnen, sondern um den Massenzuzug von Migranten, gibt es für sie keine Obergrenze. „Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge der vergangenen Jahre hat ein Anrecht auf unseren Schutz. Wir unterstützen sie tatkräftig dabei, unsere Sprache zu lernen, eine Wohnung und Arbeit zu finden“, heißt es im Wahlprogramm. Und weiter: „Wir wollen sichere und legale Fluchtwege schaffen“ – wie die Flüchtlingsansiedlung ohne „Flächenfraß“ bewerkstelligt werden kann, verraten die Grünen nicht.

LfU-Studie „Satellitengestützte Erfassung der Bodenversiegelung in Bayern 2015“:  www.lfu.bayern.de

Volksbegehren „Betonflut eindämmen“: betonflut-eindaemmen.de





Bürgerbegehren und Bürgerentscheid

Während CDU und SPD auf Bundesebene Volksabstimmungen seit 1949 verhindern, sind sie in Bayern seit 1919 Instrumente direkter Demokratie. Die vergleichsweise niedrige Zehn-Prozent-Hürde beim Volksbegehren in der Landesverfassung von 1946 ist maßgeblich dem SPD-Politiker und späteren Ministerpräsidenten Wilhelm Hoegner (1887–1980) zu verdanken. 1995 wurde dann zusätzlich per Volksabstimmung der kommunale Bürgerentscheid eingeführt. Die Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs schränkt die direkte Demokratie allerdings im Einzelfall ein. Allein zwischen 1994 und 2010 wurden sieben Volksbegehren für unzulässig erklärt – mit dem Argument, sie strebten eine unstatthafte Verfassungsänderung an oder verletzten das „Finanztabu“ (kein Volksentscheid über den Staatshaushalt). Derzeit trommeln die Freien Wähler sowie Haus- und Wohnungseigentümerverbände für die Abschaffung von Straßenausbaubeiträgen.

 www.stmi.bayern.de/

 www.volksbegehren-strabs.bayern