© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 11/18 / 09. März 2018

Harte Kerle auf kurzen Brettern
Trotz Kälte wagen Surfer den Ritt auf dem berühmten Münchner Eisbach
Martin Voigt

Der Regen ist in Schnee übergegangen und bleibt als schleimiger Matsch auf der Prinzregentenstraße liegen. München im Februar. Autokolonnen ziehen vorüber, ein paar Fußgänger tragen Wintermode spazieren. Touristen, die zum Haus der Kunst wollen, und ein Mann im Neoprenanzug. Nur noch Augen und Nase schauen aus der schwarzen Ganzkörpergummihülle. Er grüßt freundlich und wackelt ein bißchen mit dem Surfbrett unter seinem Arm.

Hat München so hohen Wellengang? Der Einheimische wundert sich nicht mehr, wenn im Stadtteil Lehel ein Surfer seinen Weg kreuzt, der Auswärtige hingegen verweilt ein paar Minuten auf der Brücke, die über den Eisbach führt, wo Tausende Kubikmeter Wasser in der Minute gegen eine Steinstufe donnern und eine stehende Welle formen. Seit den Achtzigern surfen die Bayern hier.

Gefahr durch Steinquader am Boden 

Der Eisbach zieht sich als großer Bach oder kleiner Fluß wie eine Pulsader durch den Englischen Garten. Sobald die Temperaturen über Null liegen, lockt er die „Nackerten“ an seine Ufer – wie der Münchner sagt. Unterhalb des Gefrierpunkts bleiben nur noch die Wellenreiter übrig. Dick in Neopren eingepackte Männer und Frauen jeden Alters haben unweit des Bayerischen Nationalmuseums ihren „Surfer-Hotspot“ gefunden. 

Wie die Schaumkrone auf der Maß Bier, so gehört der Ritt auf der Welle im Herzen der bayerischen Hauptstadt zum Lebensgefühl. Um „Surfin’ Bavaria“ offiziell erlauben zu können, erwarb die Stadt das Gelände 2010 vom Freistaat. Seither fehlt die Eisbachwelle in keinem Reiseführer mehr. 

„Schreib lieber nichts, sonst kommen noch mehr“, sagt Lars, Ende Dreißig, lange Haare, breites Grinsen trotz Bibbern, ein Surferboy wie er im Buche steht. Im Sommer würde er noch mehr frieren, weil an beiden Uferseiten Dutzende mit ihren Brettern auf die Welle wollten. „Da stehst du ewig, bis du wieder an der Reihe bist!“

Thermoskannen, Fotostative, Fahrräder, Rucksäcke und Surf-Utensilien markieren auf der gemauerten Uferböschung das Revier der Wellenreiter. Die Passanten stehen oben auf der Brücke mit Blick auf die Welle, um die sich hier alles dreht. Gut einen Meter ist sie hoch. Die Gischt spritzt den Schnee weg. Außer einer Erkältung könne man sich auch ordentlich blaue Flecken holen, erzählt Lars. „Da unten sind ein paar Steinquader. Bin da mal mit dem Rücken gegen geschlagen.“ Fast ein Jahr habe er sich nicht mehr auf die Welle getraut. „Wenn du fällst, mach dich sofort flach“, rät Lars und springt in die tosende Stromschnelle, die mit solcher Gewalt über die verborgene Steinstufe schießt, daß kurze Surfbretter völlig ausreichen. Anders als beim Wellenreiten im Meer liegen die „Riversurfer“ nicht bäuchlings auf ihrem Brett und warten auf die anrollende Welle. Langsam Geschwindigkeit aufnehmen und sich dann aufrichten, das geht im Eisbach nicht. Es geht schnell, oder es geht nicht.

Ausdruck bayerischer Lebensfreude 

Das Brett voran, mit den Füßen hinterher, so springt man in München auf die Welle. Springen, landen, Ballance finden – kurz durchatmen – ein „Frontside Turn“, ein „Backside Turn“. Die Wenden durch Gewichtsverlagerung sind die Minimalanforderung, um zwischen den Ufermolen hin und her surfen zu können. Das Stehvermögen der Routiniers läßt dann vor allem im Sommer die lange Schlange an Surf-Kollegen unruhig werden. Zeit für ein paar Tricks: „Rail Grap“, Griff an die Brettkante, oder ein „Three Sixty“, eine 360-Grad-Drehung. Und der nächste ist dran und wirft sich im Sprung sein Brett vor die Füße.

Der Eisbach heißt übrigens nicht Eisbach, weil er so eisig ist, sondern weil „Eis“ aus der indogermanischen Wurzel „is“ hervorgeht, was „fließendes Wasser“ bedeutet. Deshalb auch Isar. Die Touristen, die Surfer und die „Nackerten“ kümmern sich nicht groß um die Wortherkunft. Jeder geht im Englischen Garten seiner Leidenschaft nach, getreu der bayerischen Weisheit: Leben und leben lassen. Was freilich nicht so einfach ist, wenn sogar im tiefsten Winter an Münchens stehender Welle Gedränge herrscht. Tausende Selbstdarsteller haben sie in den sozialen Medien international berühmt gemacht. Immer mehr Surfer pilgern zum #eisbach. Da macht ein zusätzlicher Artikel das Kraut nicht mehr fett.