© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Die rollende Gefahr
Verkehr: Auf deutschen Autobahnen steigt die Zahl schwerer Unfälle mit Lastwagen aus dem Ausland
Björn Harms

Nachdem Kommunalpolitiker im niedersächsischen Hämelerwald den vielen Baustellen die Schuld an mehreren Lkw-Unfällen auf der Autobahn A2 gegeben hatten, platzte dem Chef der Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr, Friedhelm Fischer, der Kragen. „Schuld ist nicht die Baustelle, sondern der Mensch“, beklagte Fischer und schob hinterher: „Der überwiegende Teil der Unfälle wird von Lastwagenfahrern nichtdeutscher Herkunft verursacht.“ Viele der Fahrer hätten keine Ausbildung, Lenkzeiten von zehn Stunden am Stück seien keine Seltenheit, und die schlechte Bezahlung verführe manchen zu unverantwortlicher Fahrweise. 

Auf die hohe Zahl an Unfällen auf der durch mehrere Bundesländer verlaufenden Autobahn, einer der Ost-West-Hauptverkehrsachsen, hatte auch die Polizei immer wieder hingewiesen. Auf dem gesamten A2-Abschnitt im Zuständigkeitsbereich der Polizeidirektion Hannover war im Jahr 2016 an fast jedem zweiten der 2.417 Unfälle ein Lkw beteiligt. An 788 Unfällen hatten Lastwagenfahrer schuld. 

Das bekommen auch die Behörden in Nordrhein-Westfalen derzeit zu spüren. Allein im vergangenen Jahr registrierte das dortige Verkehrsministerium des Landes 194 schwere Lkw-Crashs an Stauenden – rund 44 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Dabei kamen 19 Personen ums Leben. „Viele dieser schrecklichen Unfälle werden durch Fehlverhalten der Fahrer verursacht“, sagte Innenminister Herbert Reul (CDU) am Rande eines Besuchs einer Kontrollstelle auf der A3. Die häufigsten Ursachen seien laut aktueller Verkehrsunfallstatistik zu dichtes Auffahren, Übermüdung und Ablenkung. „Deshalb erhöhen wir jetzt ganz gezielt den Kontrolldruck. Die Lkw-Fahrer sollen wissen, daß sie bei uns in Nordrhein-Westfalen nicht unbeobachtet sind.“ 

Fahrer schalten Notbremsassistenten aus

Bei den Schwerpunktkontrollen seit Januar fiel den Prüfern besonders die Nichteinhaltung von Mindestabständen ins Auge. Die Kreispolizeibehörde Düsseldorf registrierte allein in vier Tagen 807 Abstandsverstöße von Lkw-Fahrern, heißt es in einer Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Herbert Strotebeck (AfD). Der Anteil von ausländischen Fahrern unter ihnen habe bei 76,1 Prozent gelegen. 

Dabei gibt es bereits technische Mittel, um Auffahrunfälle, gerade an Stauenden, zu vermeiden. Doch nicht alle Fahrzeuge besitzen die geeignete Ausstattung. In Deutschland sind seit Oktober 2015 sogenannte Notbremsassistenten vorgeschrieben. Diese Systeme müssen die Geschwindigkeit eines Lkw automatisch um zehn Stundenkilometer abbremsen, wenn er sich einem stehenden oder fahrenden Hindernis nähert, etwa einem Auto am Stauende. Allerdings gelten die Richtlinien nur für neu zugelassene Güterfahrzeuge. Ältere Modelle können nicht nachgerüstet werden, da die Elektronik sehr komplex ist. Deshalb haben 75 bis 80 Prozent der Fahrzeuge auf der Autobahn keinen Notbremsassistenten. Darunter fallen insbesondere die ausländischen Lkw. 

Auch deshalb machte sich Minister Reul bei seinem Besuch auf der A3 für eine europaweite Verschärfung der Vorschriften für Notbremsassistenten stark. Und verwies zugleich auf eine große Schwachstelle: Die Fahrer können das technische Hilfsmittel manuell abstellen. „Sie wollen im Windschatten von anderen Lkw fahren, oder sie langweilen sich schlichtweg, wenn alles automatisch passiert“, vermutete Reul. Die Kraftfahrgewerkschaft KFW schätzt derweil, daß rund 75 Prozent der Fahrer das System abschalten. 

Obwohl die Auffahrunfälle wieder vermehrt in den Blickpunkt geraten, nehmen die Zusammenstöße bundesweit keinesfalls zu. Laut Statistischem Bundesamt sank die Zahl der Lkw-Unfälle mit Personenschäden in den vergangenen Jahrzehnten – von über 38.000 im Jahr 1992 auf knapp 29.000 im Jahr 2016. Bei Betrachtung der Beteiligung von ausländischen Lasterfahrern ergibt sich jedoch ein verändertes Bild: Hier lag die Zahl der Unfälle mit Personenschäden seit 1992 relativ konstant bei rund 2.700 pro Jahr. Ab dem Jahr 2013 aber läßt sich ein sprunghafter Anstieg feststellen – von 3.000 Unfällen (2013) über 3.665 (2015) bis hin zu 4.020 im Jahr 2016. Dies entspricht einem Plus von fast 50 Prozent innerhalb weniger Jahre. 

Und das Problem könnte sich verschärfen. Denn während der Anteil der deutschen Fahrern seit Jahren sinkt, steigt die Zahl von Fahrern aus dem Ausland, vor allem aus den erst 2004 in die EU eingetretenen Ländern. Ihr Anteil an den jährlichen Lkw-Fahrleistungen wuchs von 18,4 Prozent im Jahre 2007 auf inzwischen 33,5 Prozent an. Die stärksten Zuwachsraten haben die Länder Litauen, Rumänien und Polen. „Ausländische Fahrer halten oft Sicherheitsabstände nicht ein“, erklärt ein Lkw-Fahrer der Bild-Zeitung. „Insbesondere Rumänen und Bulgaren fahren rasanter – sie haben Termindruck.“ 

Die Zahlen sind bekannt, gleichzeitig nehmen die Kontrollen auf den Autobahnen ab. Während die Behörden 2010 noch 633.541 Güterfahrzeuge unter die Lupe nahmen, waren es 2015 nur noch 511.592. Das Bundesamt für Güterverkehr (BAG) begründet den Rückgang von fast 20 Prozent gegenüber der JF mit „personellen und technischen Veränderungen“. Dennoch stellt das BAG fest: „Die Gesamtzahl festgestellter Verstöße hat in den letzten Jahren zugenommen.“ Bei 15,7 Prozent der kontrollierten ausländischen Laster seien 2016 Mängel gefunden worden – fast doppelt so oft wie bei deutschen Lastern (8,2 Prozent). 

Die Lehrter Feuerwehr hat derweil aus der Not eine Tugend gemacht. Immer wieder war die knapp 70 Mann starke Ortsfeuerwehr wegen der Nähe zum Autobahnkreuz Hannover-Ost zu schweren Lkw-Unfällen ausgerückt. Deshalb entwickelten sie eine verbesserte Rettungstechnik, die parallel von Fahrer- und Beifahrerseite aus beginnt. Im April 2016 rettete das einem Fahrer das Leben. Er war auf der A2 ungebremst in ein Stauende gefahren. Mehrere Laster waren ineinander verkeilt, Trümmer und verlorene Ladung bedeckten die Autobahn, alle Fahrstreifen waren gesperrt. Dennoch konnte der völlig eingekeilte, schwerverletzte Fahrer schon 45 Minuten nach dem Unfall den Ärzten übergeben werden. Belohnung für die Retter: neben dem Erfolgserlebnis die Ernennung zu Deutschlands „Feuerwehr des Jahres“ – und eine Reise nach New York.