© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Auge um Auge, Zahn um Zahn
Industriepolitik II: Der Zollstreit zwischen der EU und den USA eskaliert / Die deutsche Autoindustrie wird Donald Trumps Trumpfkarte
Thomas Kirchner

Als Donald Trump twitterte, „ein Handelskrieg ist gut und leicht zu gewinnen“, pendelten die deutschen Reaktion zwischen Empörung und Häme. Doch der US-Präsident könnte recht haben, denn dahinter steckt offenbar Methode. Die Strafzölle von 25 Prozent auf Stahl und zehn Prozent auf Aluminium (JF 11/18) brachten Politik und Presse in Rage – ein scharfer Kontrast zum Desinteresse, mit dem im Dezember 2015 auf Barack Obamas Strafzölle von 266 Prozent auf chinesischen Stahl reagiert wurde. Die Chinesen verschifften daraufhin ihren Stahl einfach über willige Drittländer, wo die Herkunft der Exporte umdeklariert wurde.

„Fair und flexibel“, nennt Trump die Zölle. Schon im Wahlkampf machte er keinen Hehl aus seinem Unmut über den derzeitigen Welthandel. Er sprach sich für Freihandel aus, mit der Einschränkung: „fairer Handel“. Die USA haben im Schnitt niedrigere Zölle als ihre Handelspartner. China ist besonders einseitig, aber auch die EU langt hin: US-Zölle betragen im Schnitt 3,5 Prozent auf Einfuhren, die der EU 5,5 Prozent und chinesische 9,9 Prozent. Der Welthandel ist immer noch weniger frei und fair als vor dem Ersten Weltkrieg. Zwar gibt es seit 1948 ein globales Zoll- und Handelsabkommen (GATT), aber die als Nachfolger geschaffene Welthandelsorganisation (WTO) verstetigte bestehende Handelsbarrieren. Hinzu kommen ständig neue Umwelt- und Sozialstandards.

US-Handelsdefizit von 811,2 Milliarden Dollar

Der US-Handelsminister Wilbur Ross sieht die WTO als überflüssigen Debattierklub, denn trotz WTO verlangt die EU beispielsweise zehn Prozent Zoll auf US-Autos, die USA nur 2,5 Prozent auf europäische. In Deutschland kommen noch 19 Prozent Einfuhrumsatzsteuer hinzu – was sich im Bundeshaushalt auf rund 50 Milliarden Euro jährlich summiert. In den USA schlagen allenfalls die Bundesstaaten eine Sales Tax im einstelligen Bereich auf. Diese Asymmetrie, nicht nur bei Autos, wird von vielen Amerikanern als Ursache ihres Handelsdefizits, von 752,5 (2016) auf 811,2 Milliarden Dollar (2017) angestiegen, betrachtet. Die hämische Entgegnung von SPD-Minister Sigmar Gabriel, deutschen Wirtschaftslenkern und Ökonomieprofessoren, die USA müßten nur einfach bessere Autos bauen, verdeutlichte Wa-sh­ington, daß die Öffnung der Märkte in Europa kein Thema ist.

Hinter dem US-Zollwahnsinn steckt Methode: Was Trump an politischer Erfahrung fehlt, macht er mit Verhandlungsgeschick wett. Jahrzehntelang navigierte er erfolgreich durch den New Yorker Immobiliendschungel zwischen korrupten Beamten, widersprüchlichen Vorschriften, mafiakontrollierten Bauunternehmen, knallharten Immobilienbanken, Anwälten mit Millionenforderungen für Nichtigkeiten, gelegentlichen Crashs und erbarmungsloser Konkurrenz.

Seit Jahren beißen sich Diplomaten an Nordkorea die Zähne aus. Trump brachte Kim Jong-un innerhalb eines Jahres an den Verhandlungstisch. Trumps Verhandlungsstil eignet sich für eine Präsidialdemokratie, die pluralistische EU-Bürokratie, in der jeder der 28 Teilnehmer sich für wichtiger hält als die anderen, kann da nicht mithalten. Kein Wunder, daß die erste EU-Reaktion die Androhung von eigenen skurrilen Strafzöllen war. Doch die EU übersieht, daß Wilbur Ross sich auf eine Ausnahmeregelung für die nationale Sicherheit in den WTO-Regeln beruft.

Komplette Neuverhandlung des Welthandels?

Die von der EU ins Auge gefaßten Produkte wie Whiskey, Orangensaft oder Harley-Davidson-Motorräder haben mit einem Volumen von 3,5 Milliarden Dollar nur Symbolkraft. Der Verbrauch dürfte kaum auf die Preiserhöhungen reagieren. Politisch ist die Zollandrohung für Mais/Roggen-Brände wegen Kentucky, Stammland der US-Whiskeyproduzenten, in dem Trump die Wahl mit 62,5 Prozent gewann. In Florida (Orangensaft-Staat) und Wisconsin (Sitz der Harley-Zentrale) gewann Trump mit 49 und 47 Prozent, die wahlentscheidend waren.

Trotz aller Rhetorik versteht Brüssel ganz genau, daß Trump und Ross nicht weniger als eine komplette Neuverhandlung des Welthandels erzwingen wollen. Gespräche über das Freihandelsabkommen mit Mexiko und Kanada (Nafta) finden bereits statt – deswegen sind diese beiden Länder vorerst von den neuen Zöllen befreit –, ein weiteres Signal an die Welt, daß es Trump nicht um Abschottung geht, sondern um Verhandlungen. Denn Kanada hätte mit seiner hohen Aluminiumproduktion zuerst „abgeschottet“ werden müssen.

Bis Trump den Handelskrieg gewinnt und eine Ausweitung des Freihandels erreicht, wird es weitere Kämpfe geben. Die deutsche Autoindustrie (US-Absatz: 550.000 Stück jährlich) ist dabei Trumps Trumpfkarte. Zum letzten Mal verhängten die USA Strafzölle auf Autos unter Bill Clinton. Die 100 Prozent Zoll auf 13 japanische Luxusmodelle wurden schon nach drei Monaten wieder aufgehoben. Französischer Roquefortkäse hingegen wird seit 2009 mit 100 Prozent Zoll belegt, ohne daß eine Senkung in Sicht wäre. Die Eskalation dürfte also noch eine Weile weitergehen.

Außenhandelsstatistiken der USA:  www.census.gov/