© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Deutschland und Rußland – wie weiter?
Eine neue, pragmatische Politik
Thomas Fasbender

Ja, der hybride Krieg ist Realität. Im Cyberspace, in den Medien und an Bürgerkriegsfronten, mit Waffenlieferungen und Söldnern, politischer Wühlarbeit, Propaganda, mit Lügen und Desinformation, Hacking und Hackingvorwürfen sowie Sanktionen und NGOs. Es ist ein Krieg des 21. Jahrhunderts, ein postmoderner Krieg. Die Parteien: die USA und ihre Nato-Verbündeten auf der einen und Rußland auf der anderen Seite. Das Besondere: Es ist ein Krieg um Perspektiven und Narrative, keiner um Territorien. Weder plant die Nato den Einmarsch in die Russische Föderation noch diese einen Angriff auf Nato-Mitglieder. Wer Gegenteiliges behauptet, bedient die Mythen dieser Konfrontation.

Der Motor, der den Krieg am Laufen hält, ist die Rivalität der USA und Rußlands auf dem eurasischen Kontinent. Rußland hat Washingtons Einfluß im Mittleren Osten massiv zurückgedrängt. Im Fernen Osten hat Rußland sich mit China zu einer Art Entente verbunden, um die Rolle der Amerikaner dort zu beschneiden.

Das provoziert Widerstand. Klar, daß Washington versucht, die europäischen Verbündeten gegen Rußland in Stellung zu bringen. Bei den bündnistreuen Deutschen gelingt das besonders gut. Zwar begegnen wir allem, was nach Machtkampf und Rivalität aussieht, mit Mißtrauen. Dafür glauben wir an das Gute. Man muß uns also nur überzeugen, daß es um Gut gegen Böse geht. Die gute Ukraine gegen das böse Rußland. Der böse Assad gegen die guten Rebellen. Die guten Kurden gegen den bösen Erdogan.

In Wirklichkeit hat Europa keinerlei Anteil an der russisch-amerikanischen Rivalität. Den Konflikt mit Rußland führen unsere Politiker (und Medien) nur den USA zuliebe. Washington verteidigt – legitim und mit gutem Grund – sein Revier in Eurasien gegen Rußland und China. Statt allerdings dafür zu sorgen, daß Europa von dieser Auseinandersetzung verschont bleibt, zieht das transatlantische Establishment den Kontinent mitten hinein.

Das Argument, Europa müsse sich gegen den Bruch der europäischen Friedensordnung durch Rußland zur Wehr setzen, führt ins Leere. So real der hybride Krieg ist, so irreal ist diese Friedensordnung. Gemessen an ihrer politischen Autorität ist die 1990 verabschiedete Charta von Paris längst nur noch Makulatur. Jede Ordnung lebt vom Konsens aller Beteiligten, ihre Grundsätze anzuerkennen. Dieser Konsens erodiert spätestens seit der Bombardierung Serbiens im Sommer 1999. Danach begann das Ringen um Einflußzonen in der Ex-UdSSR, die Nato-Osterweiterung, die Kosovo-Sezession, der russische Georgienkrieg, der Umsturz in der Ukraine, die Annexion der Krim. Im Wirtschaftsleben spräche man vom Wegfall der Geschäftsgrundlage.

Eine neue, pragmatische Rußlandpolitik muß her, ohne Gut-Böse-Schemata und ohne den schwammig-pubertären Humanismus, der hierzulande die Werte­diskussion beflügelt. Wir müssen wieder lernen, was Realpolitik und Neutralität sind.

So wie die „europäische Friedensordnung“ nach 1990 gestrickt war, als Einbindung eines schwachen Rußlands in eine westlich dominierte Architektur, wird sie nicht auferstehen. Rußland ist als Großmacht zurückgekehrt, und Rußland wird Großmacht bleiben, auch wenn seine Wirtschaftsleistung mäßig ist. Mit Grenzen von Norwegen bis Nordkorea spielt man auch ohne 14 teure Flugzeugträgergruppen ganz vorne mit.

Eine neue, pragmatische Rußlandpolitik muß her, ohne Gut-Böse-Schemata und ohne den schwammig-pubertären Humanismus, der hierzulande die Werte­diskussion beflügelt. Wir müssen wieder lernen, was Realpolitik, Neutralität und Nichteinmischung sind.

Beiden Rivalen gegenüber, Moskau und Washington, muß Europa Nähe und Distanz zugleich praktizieren. Im Politsprech: selektives Engagement. Soll Europa doch Flüssiggas aus den USA beziehen, wenn der Preis stimmt. Aber Nord Stream 2 muß gebaut werden, schon um den Gastransit durch die Krisenzone Ukraine zu beenden. Vor allem gilt es, die eingefrorenen Konflikte vor der Eskalation zu bewahren: Ostukraine (Minsk II liegt im Dauerkoma), Moldawien, Kaukasus. Alles Aufgaben, die nur gemeinsam mit Moskau zu lösen sind.

Die Annexion der Krim muß einer pragmatischen Politik konkreter, kleiner Schritte nicht im Wege stehen. Zur Erinnerung: Die Annexion des Baltikums durch die UdSSR, vom Westen niemals anerkannt, war auch kein Hindernis für die erfolgreiche Annäherung im Kalten Krieg.

Mit der GroKo-Wiederauflage steht zu erwarten, daß in Berlin noch einmal vier Jahre lang die Litanei von der europäischen Friedensordnung ertönen wird. Sinnlose, realitätsfremde Nostalgiepolitik. Vielleicht kommen die Impulse ja aus anderen Hauptstädten. Wenn eine ganze Politikergeneration sich der Suche nach pragmatischen Lösungen verweigert, bitte sehr! Andere werden darin ihre Chance sehen.






Dr. Thomas Fasbender, Jahrgang 1957, ist Kaufmann, Journalist und promovierter Philosoph. Nach 23 Jahren in Rußland lebt und arbeitet er seit 2015 in Berlin. Seit 2011 schreibt er für die JF. 2014 erschien sein Buch „Freiheit statt Demokratie. Rußlands Weg und die Illusionen des Westens“. Fasbender ist Mitglied des Deutsch-Russischen Forums und arbeitet für die von dem Putin-Vertrauten Wladimir Jakunin mitgegründete Denkfabrik „Dialog der Zivilisationen“ (DOC).

Foto: Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem Präsidenten der Russischen Föderation Wladimir Putin bei einer Pressekonferenz im Moskauer Kreml: Wie soll Deutschland sich in Zukunft zu Moskau stellen? Auf russische Befindlichkeiten Rücksicht nehmen oder zusammen mit den EU-Partnern geschlossen auftreten?