© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Der Flaneur
Das magische Einhorn
Paul Leonhard

Ausflug ins Böhmische, und plötzlich steht da ein Märchenschloß. Beiderseits des Eingangs locken zwei dicke, einst bunt angestrichene Clowns. Über dem Tor grinst vergnügt eine Koboldfrau. Es ist einer jener Spielplätze, wie sie in tiefsten sozialistischen Zeiten, angelehnt an die damaligen Märchenfilme, entstanden sind, die es in TÜV-freien Zonen noch gibt und die nichts von ihrer Faszination verloren haben.

Erwachsene haben nur Zutritt mit Dreikäsehochs, und die zieht es magisch zu einem blauen Beton-Einhorn mit gelber Mähne. Nach einem kurzen Kletterabenteuer sitzt ein Zweijähriger oben und schaut stolz. Jetzt ist er Prinz und das ganze Märchenland, bestehend aus Schaukeln, einem wasserlosen Brunnen mit Meerjungfrau und weiteren Märchenfiguren, einer Mauer mit Türmchen und Zinnen, gehört ihm.

Beides, als Prinz sitzen bleiben und rutschen, wippen und schaukeln, geht nicht.

Das Problem ist, daß alle Kinder Prinz oder Prinzessin sein wollen. Und so lernen sie eine wichtige Lektion: Wenn ich hinunterklettere, sitzt prompt ein anderer drauf. Bleibe ich aber sitzen, kann ich nicht rutschen, wippen, schaukeln. Blöde Sache. Der aktuelle Prinz scheint genau darüber nachzudenken, als es eine Attacke gibt: Ein bestimmt Vierjähriger, aber nicht größer als der andere, will auf das Einhorn. Da er nicht von allein hochkommt, versucht er sich am anderen emporzuziehen, was lautstarken Protest zur Folge hat. Der Vater des Kleinen greift ein, hebt den anderen hoch. Nun gibt es zwei Prinzen. Glücklich sind beide nicht.

Mehrere Kinder haben die Zinnen über eine Wendeltreppe bestiegen. Von einem Laufgang aus können sie eine der Betonrutschen benutzen. Einfach gemacht, aber robust. Erst geht es vorsichtig nach unten, beim nächsten Mal schon rasanter. Dann wieder Wippe, Schaukel, zwischendurch Einhorn. Schließlich ein Klappern mit einem Schlüsselbund. Die Vertreibung aus dem Kinderparadies beginnt. Die Aufsicht hat Feierabend.