© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/18 / 16. März 2018

Der mit dem Experiment
Der Politikwissenschaftler Yasha Mounk sieht Demokratie und Rechtsstaat in Gefahr. Schuld daran ist natürlich nur der Rechtspopulismus
Wulf-H. Möller

Manchmal kriecht die Geschichte jahrzehntelang vor sich hin!“ so der Autor Yascha Mounk in der Einleitung seines Buches. Wahlen würden gewonnen und verloren, Wirtschaftsphasen erlebten ein Auf und Ab, sportliche Ereignisse wiederholten sich und politische „Leitgestirne“ gäben nach wie vor „den Ton“ an. Das sei in den letzten vierzig Jahren so gewesen.

Und dann plötzlich sei Bewegung aufgekommen, alles schien sich zu verändern: Politische Neulinge stürmten auf die Bühne, radikale Forderungen wurden erhoben, Regierungssysteme schienen ins Wanken zu geraten, nichts sollte bleiben, wie es war. Wir schrieben das Jahr 1989! Ist das nicht auch unsere Zeit?

Bis vor kurzem herrschte, so schien es, die liberale Demokratie unangefochten. „Die politische Zukunft würde der Vergangenheit verblüffend ähnlich sehen“. „Doch dann war die Zukunft plötzlich präsent“: Außenpolitische Systeme brachen zusammen. Jugoslawien, Produkt des Versailler Vertrages,  löste sich aus der Zwangsherrschaft und gliederte sich in seine nationalen Einzelstaaten. Ähnliches vollzog sich in der Tschechoslowakei und es kam noch brisanter: Das Sowjetreich brach nach über siebzig Jahren zusammen. Und nicht nur außenpolitisch wurden die Fixsterne ausgetauscht, auch innenpolitisch sollten zunehmend Systeme in Frage gestellt werden. 

Donald Trump sei das schockierendste Beispiel, sein Aufstieg von großer Bedeutung, weil sich „die älteste und mächtigste Demokratie einen Präsidenten wählte, der scheinbar Prinzipien des Rechtsstaates mißachtet.“ Doch das sei kein Einzelfall! Nationalkonservative Parteien feierten beispiellose Erfolge. So in Österreich, Polen, Finnland, Schweden, Dänemark und den Niederlande. Und in Deutschland siegte die AfD von Bundesland zu Bundesland. Mit einem „Zerfalls der Demokratie“ beschäftigt sich Yascha Mounk, und er geht dabei vor allem der Frage nach, wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht. Mounk, 1982 in München geboren, lehrt politische Theorie an der Harvard University und hat jüngst durch seinen Auftritt in den „Tagesthemen“ für Furore gesorgt, als er die massenhafte Migration nach Deutschland und Europa ganz unverblümt nicht etwa als Akt der Humanität für verfolgte „Flüchtlinge“, sondern als „historisch einzigartiges Experiment“ bezeichnete, in dem „eine monoethnische, monokulturelle Demokratie in eine multiethnische verwandelt“ werde.

Auf die Frage nach den Gründen für die Krise nennt Mounk drei Rahmenbedingungen:

Erstens: den Siegeszug des Internets und der sozialen Netzwerke. Schwächung der Macht der medialen Gatekeeper. Stärkung ehemaliger Randgruppen Zweitens: vielerorts wirtschaftliche Sorgen um Zukunftschancen.

Drittens: Privilegien ehemals dominanter Gruppen stünden unter „Beschuß“.

Gutenbergs Zeitgenossen erkannten nach Mounk die revolutionäre Tragweite der Druckerpresse schnell. Sie führte zu einem rasanten Aufschwung des Geisteslebens und ermöglichte die allmähliche Alphabetisierung Europas. Sie veränderte auch den Verlauf der Geschichte. Wenn Martin Luthers Thesen nicht innerhalb weniger Jahre 250.000mal gedruckt worden wären, hätten sie kaum einen solch revolutionären Einfluß haben können, unterstreicht Mounk.

Mit dem Kontrollverlust der Gatekeeper habe die Kommunikationstechnologie heute weitreichende Wirkungen erzielt. Und es seien vor allem junge Menschen, die nach höherem Lebensstandard und mehr Freiheit strebten. Laptops für Eliten, Facebook für die Reichen oder Smartphone für die Glücklichen – das sei vorbei!

Vor diesem Hintergrund müßten wir verstehen, warum die sozialen Medien bei Massenprotesten eine Rolle spielen. Nur ein verschwindend kleiner Teil der Weltbevölkerung hatte früher ein gedrucktes Buch in der Hand gehabt. Heute nutzen etwa zwei Milliarden Menschen die Plattform von Facebook. All dies seien Antworten auf die Frage, wie effektiv die Populisten die neue Technologie nutzten und die Grundelemente der liberalen Demokratie aushöhlen könnten. 

Und auch das: Seit den achtziger Jahren ging die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander, und mit den Wirtschaftsängsten entstanden Zukunftsängste! „Und die Wähler seien von daher immer öfter bereit, für extreme Politiker zu stimmen, die einfache Lösungen versprechen.“ Als Beispiele nennt er Narendra Modi in Indien, Recep Tayyip Erdogan in der Türkei, Viktor Orbán in Ungarn und schließlich Jaroslaw Kaczynski in Polen. 

Aufschlußreich ist das Kapitel über die „Vereinnahmung der Parlamente“. Der Verweis auf Artikel 21 des Grundgesetzes erfolgt expressis verbis nicht. Aber hier heißt es: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Ein deutlicher Hinweis, denn tatsächlich hätten sich die Parteien in Deutschland geradezu „des Staates  bemächtigt!“ Vom Volk gewählt, damit sie dessen Ansichten vertreten, hätten sich die Abgeordneten zunehmend vom Willen des Volkes abgekoppelt. Den Eliten sollte aber gerade Macht entzogen, dem Volk Verantwortung übertragen werden.

Dennoch meint Mounk, selbst wenn Populisten es schafften, Regierungen zu bilden, steuere die liberale Demokratie nicht unbedingt auf ihr Verhängnis zu. In Polen beispielsweise büßte die erste PiS-Regierung unter Kaczynski 2007 nach nur einem Jahr im Amt aufgrund eines Koalitionsstreits ihre Mehrheit ein; bei den darauffolgenden Wahlen erlitt Kaczynski eine deutliche Niederlage. In Südkorea gingen im Herbst 2016 Millionen Bürger auf die Straße, um gegen eine korrupte Präsidentin zu protestieren. Wenn Populisten die Macht einmal errungen hätten, müsse die Stunde der liberalen Demokratie nicht unbedingt geschlagen haben, so Mounk. 

Die entscheidende Erklärung für den Aufstieg der Populisten sei jedoch, daß die Bürger von der Politik enttäuscht seien. Deshalb feierten die AfD, die FPÖ und der Front National beispiellose Erfolge. „Zum Glück“, so der Autor, gebe es vieles, was man tun könne, um die liberale Demokratie gegen das Zeitalter des Populismus zu verteidigen: Man könne den Populisten auf der Straße Paroli bieten. Man könne Mitbürger an die Vorzüge der Freiheit erinnern und etablierte Parteien „zu einem ehrgeizigen Programm drängen“. Ist das tasächlich der probate Lösungsweg?

Auf welches Schicksal aber letztlich unser politisches System zusteuert – die Antwort bleibt als Frage und Desiderat bestehen.

Yascha Mounk: Der Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht. Droemer Verlag, München 2018, gebunden, 350 Seiten, 19,99 Euro