© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

„Gravierender politischer Schaden“
Geheimnisverrat: Im Prozeß gegen einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes hat der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter ausgesagt
Mathias Pellack

Roderich Kiesewetter, CDU-Bundestagsabgeordneter, früherer Vorsitzender des NSA-Untersuchungsausschusses und ehemals Präsident des Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, sitzt im Zeugenstand. Er will sich vor den Fragen nicht drücken; nicht vor denen des Richters, des Staatsanwalts und des Anwalts von Mark M., dem wegen Geheimnisverrats angeklagten Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes BND (JF 6/18). 

Der Richter belehrte Kiesewetter mehrfach, er dürfe als Abgeordneter von seinen umfangreichen Schweigerechten Gebrauch machen. Aber der ruhig und bedächtig sprechende Politiker hat andere Pläne. Er sieht „gravierenden politischen Schaden“ auf sich zukommen – und den will er von sich abwenden.Der suspendierte BND-Mann M. soll Kiesewetter mitgeteilt haben, daß zwei führende Vertreter des Reservistenverbandes für den BND arbeiteten. Bei Kiesewetter schrillten die Alarmglocken: Entweder der Dienst habe zwei Leute auf ihn, den Vorsitzenden des mit einer äußerst heiklen Thematik befaßten NSA-Untersuchungsausschusses angesetzt; oder im Dienst sitzt jemand, der Interna ausplaudert und so die Sicherheit zweier Mitarbeiter gefährde. 

Daraufhin – so der frühere Bundeswehr-Oberst – habe er getan, was er tun mußte, um sein Amt als Abgeordneter und seine Kameraden im Reservistenverband zu schützen. Die Geheimnisse, die ihm M. mitgeteilt hatte, überprüfte er tags darauf im Telefonat mit den betreffenden Führungsmitgliedern des Reservistenverbandes. Diese bejahten die Nebentätigkeit für den BND. 

Später und ohne große Eile gab Kiesewetter diese Informationen an den damaligen BND-Präsidenten Gerhard Schindler weiter, als er ihn auf den Fluren des Paul-Löbe-Hauses zufällig traf. Dieser habe daraufhin en passant geantwortet: „Die schalten wir morgen ab.“ Die Vermutung, die Kiesewetter äußerte, daß der Präsident bereits informiert war und nicht mal eben zwischen Tür und Angel über die Zukunft zweier Mitarbeiter entscheidet, liegt nahe. Laut einer Zeugin aus dem Geheimdienst seien die beiden Reservisten lediglich sogenannte Legendenwohnungsgeber (LGW) gewesen. Das heißt, der Dienst nutzte mit ihrem Einverständnis ihre Namen und Adressen für seine im Ausland tätigen Spione.

„Es geht um hochbrisante Informationen“

Warum trug der erfahrene Politiker die Informationen, die er vertraulich erhalten hatte, weiter, anstatt sie für sich zu behalten, fragt der Verteidiger des Angeklagten. Der CDU-Mann reagiert ungehalten: „Na hören Sie mal! Es geht um hochbrisante Informationen.“ Die seien so „erschreckend“ gewesen, daß er sie habe weitertragen müssen. Dies diente sowohl seinem eigenen Wohl als auch dem der Kameraden im Reservistenverband. Nur M. dienten sie nicht. Der wurde dadurch in seine mißliche berufliche Lage und schließlich auf die Anklagebank gebracht.  

Kiesewetter sagte am Montag vor Gericht aus, der Angeklagte habe sich mumaßlich an ihn gewandt, um ihn als Jobvermittler zu nutzen. Das Gespräch mit M., den er seit 2001 kannte, sei aber „fürchterlich“ verlaufen. M. zeigte sich damals unzufrieden mit seinem Arbeitgeber BND. Tatsächlich stand bereits im Jahr 2012 im Raum, daß M. für den russischen Nachrichtendienst gearbeitet haben soll, berichtet eine Zeugin im Prozeß. Die Ermittlungen seien  ergebnislos verlaufen. Disziplinarrechtlich habe man allerdings weitergeforscht, unter anderem wegen falscher Reisekosten. M. wurde nahegelegt, den BND zu verlassen. Das wollte er wohl tun – vielleicht mit Hilfe des Bundestagsabgeordneten und Zeugen Roderich Kiesewetter. Das Verfahren wird Anfang April fortgesetzt.