© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

Die Banalität des Guten
Schweden: Ein dramatischer Anstieg der Kriminalität trifft auf eine sprachlose Gesellschaft
Christoph Arndt

Der Chef der schwedischen Reichspolizei (Rikspolis), Dan Eliasson, nahm anläßlich der Veröffentlichung der Kriminalstatistiken und der polizeilichen Aufklärungsquote für 2017 kein Blatt vor den Mund: „Wir haben eine ernste Lage in Teilen Schwedens.“ Die brutale Bandenkriminalität, so Eliasson weiter, habe ein Niveau erreicht, wie man es in Schweden nie zuvor gesehen habe.

Am deutlichsten läßt sich dies an der Verfünffachung der Morde mit Schußwaffengebrauch und der Schießereien innerhalb von 12 Jahren ablesen. Schweden, ein Land mit traditionell niedriger Mordrate, hatte 2006 lediglich acht Morde mit Schußwaffengebrauch zu beklagen, während es 2017 43 Morde gab. Im selben Takt stieg nach Angaben des Nachrichtensenders SVT Nyheter die Anzahl der Verletzten bei Schießereien im öffentlichen Raum auf 140, eine Verdopplung in einem Zeitraum von lediglich fünf Jahren.

Herkunft der Täter wird verschwiegen 

Eine Hauptquelle für die stark ansteigende Mordrate und den Gebrauch von Schußwaffen sind die 61 sogenannten besonders belasteten Gebiete (Utsatta områden). So bezeichnet die schwedische Polizei in einem Bericht Stadtgebiete mit niedrigem sozioökonomischem Status, wo Kriminelle einen Einfluß auf das Leben der Bewohner haben.

Ein nicht genannter Faktor im entsprechenden Bericht der schwedischen Polizei ist nichtwestliche Zuwanderung. Insbesondere in den Vororten Stockholms und Malmös haben sich Parallelgesellschaften und eine Ghettokultur verfestigt, wo sich organisierte Kriminalität mit archaischen Vorstellungen von Ehre aus dem Mittlerem Osten zu einem Lebensstil vermengen.

Dazu paßt, daß im Jahr 2016 bereits jeder zehnte Mord ein Ehrenmord war und es neuerdings das Phänomen der „Balkonmädchen“ gibt – Mädchen und junge Frauen mit Migrationshintergrund, die vom Balkon oder aus dem Fenster fallen und in den schwedischen Kriminalstatistiken als Selbstmord geführt werden. Eine ernsthafte und ehrliche Diskussion über die Anzahl der Ehrenmorde und die Balkonmädchen ist dennoch weitestgehend ausgeblieben.

Dies, so die Sydsvenskan, sei bemerkenswert in einem Land, in dem der Feminismus de facto eine Staatsdoktrin darstelle, während gleichzeitig Festivals als Folge sexueller Übergriffe abgesagt werden, es einen massiven Anstieg von Gruppenvergewaltigungen und anderen brutalen Übergriffen auf Frauen vor allem in den Vorstädten Malmös und Stockholms gebe und von Mitschülern vergewaltigte Mädchen mit den Tätern auf dieselbe Schule gehen müßten. 

Der Problemlösung steht hier die Problemerkenntnis im Wege, da die Herkunft der Täter, abgesehen von Alter und Geschlecht, in offiziellen Statistiken wie der Kriminalitätsstatistik BRÅ niemals genannt wird. Die schwedische Polizei verwendete zudem während der eskalierenden Flüchtlingskrise 2015 und 2016 den sogenannten Code 291, der Straftaten, bei denen der Täter Flüchtling oder Migrant ist, vor der Öffentlichkeit geheimhält.

Um an belastbare Zahlen zum Anteil nichtwestlicher Zuwanderer an der grassierenden Gewaltkriminalität zu kommen, wie sie in Dänemark und Norwegen frei zugänglich sind, sind politische Kommentatoren und einige Medien dazu übergegangen, aus den öffentlich zugänglichen Anklageschriften bei Gerichtsverfahren eigene Datenbanken zur Herkunft der Täter aufzubauen. Diese zeigen, daß über die Hälfte der Sexualstraftaten von Ausländern begangen wird, wobei der Anteil von nichteuropäischen Tätern bei Gruppenvergewaltigungen bei über 80 Prozent liegt („Sexualbrottslighet bland män födda i Sverige och i utlandet“). Die Zeitung Dagens Nyheter konnte mit derselben Methode zeigen, daß bei Morden und Mordversuchen mit Schußwaffengebrauch 90 von 100 Angeklagten oder Verurteilten mindestens einen im Ausland geborenen Elternteil haben.

Täter werden gern zu Opfern gemacht

Trotz dieser eindeutigen Muster ist die Debattenkultur nach wie vor durch eine absurd anmutende Realitätsverweigerung geprägt, die die schwedische Autorin Ann Heberlein in einem gleichnamigen Buch kürzlich als „Banalität des Guten“ beschrieben hat. Die „Banalität des Guten“ ist demnach der unreflektierte Wille der kulturellen und politischen Eliten, Gutes zu tun, ohne Verantwortung für die Konsequenzen der Handlungen zu übernehmen, dabei Täter zu Opfern gesellschaftlicher Verhältnisse zu machen und Menschen nicht mehr als freie Individuen, die für ihr Handeln verantwortlich sind, zu behandeln.

So wollte der Vorsitzende der Umweltpartei der Grünen, Gustav Fridolin, als Reaktion auf die steigende Kriminalität mehr Sicherheit für Frauen durch feministischere Stadtplanung erreichen, worunter er den Rückbau „eingeschlechtlicher Wohnmilieus“ (SVT) verstand.

Der Rektor der Schule in Lund, wo zwei verurteilte Vergewaltiger mit dem Opfer auf eine Schule gingen, konstatierte: „Alle drei (Beteiligten) sind ja Schüler hier, und alle drei sind in gewisser Weise Opfer in dieser Sache“ (Sydsvenskan).

Im Herbst wurde die damalige norwegische Zuwanderungsministerin Sylvi Listhaug (Fortschrittspartei) von einem Arbeitstreffen mit ihrer Amtskollegin Heléne Fritzon in Stockholms Vorort Rinkeby wieder ausgeladen, nachdem sie und andere Politiker aus den Nachbarländern Dänemark und Norwegen vor schwedischen Verhältnissen in der Einwanderungspolitik und der Einwanderungsdebatte gewarnt hatten.

Im Februar dieses Jahres reagierte die Vorsitzende der sozialliberalen Zentrumspartei, Annie Lööf, auf die Feststellung, daß 7.000 von 9.000 von der Ausländerbehörde Migrationsverket untersuchten minderjährigen Flüchtlingen faktisch Erwachsene sind, mit der Aussage: „Das Alter ist nach oben korrigiert worden, aber man hat nicht bewußt über ihr Alter gelogen.“

Angesichts der jüngst veröffentlichten Zahlen und der Anfang 2018 weiter zunehmenden Banden- und Gewaltkriminalität in Malmö und Stockholm sind die lange Zeit ignorierten und uminterpretierten Ursachen der Kriminalität kaum mehr für die Öffentlichkeit zu verbergen. Sie sind im Wahljahr 2018 ein zunehmend heißes Thema. In der ersten Reichstagsdebatte 2018 erklärte der Vorsitzende der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, der organisierten Kriminalität den Krieg, während der neue Vorsitzende der konservativen Moderaterna, Ulf Kristersson, beklagte, daß Kriminelle immer mehr die Kernaufgaben und Repräsentanten des Staates angriffen.

Moderaterna schlug wie zuvor die Schwedendemokraten vor, daß Kriminalstatistiken wieder den Faktor Zuwanderung einbeziehen müßten, während die anderen bürgerlichen Parteien, Liberale und Zentrum, dies ablehnen (Dagens Nyheter). Die Moderaten stehen hier vor einem Dilemma, da die Mandate der Schwedendemokraten und der Zentrumspartei für eine bürgerliche Regierungsbildung gebraucht werden, sich deren Analysen der Kriminalitätsursachen aber diametral gegenüberstehen und beide Parteien eine Kooperation ausgeschlossen haben.