© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

Den Kurden folgen Turkmenen und Araber
Syrien: Nach der Eroberung der Stadt Afrin geriert sich Ankara als ambitionierte Besatzungsmacht
Marc Zoellner

Schier endlos schien die Schlange der Fahrzeuge, die sich vergangenes Wochenende auf den staubigen Pisten von Afrin aus nach Süden quälte: Pick-ups, voll beladen mit Frauen und Kindern, reihten sich dicht an dicht im stockenden Verkehr an Traktoren und ausrangierte Busse. 

Gut zwei Monate nach Beginn der „Operation Olivenzweig“, der türkischen Offensive gegen die kurdischen YPG-Milizen, ist nun auch die gleichnamige Hauptstadt der nordsyrischen Provinz Afrin gefallen. Türkische Verbände drangen am Samstag, unterstützt von ihren Verbündeten der Freien Syrischen Armee (FSA), ins Zentrum der Stadt vor, um die letzten verbliebenen Widerstandsnester der YPG, denen Ankara eine Kollaboration mit der linksextremen Terrorgruppe PKK vorwirft, zu eliminieren. „Die meisten Terroristen sind bereits mit dem Schwanz zwischen den Beinen geflohen“, verkündete der türkische Staatspräsident Recep T. Erdogan am Folgetag triumphierend. „Unsere Spezialkräfte und die Mitglieder der FSA säubern nun die Überreste sowie die Sprengfallen, die von der YPG hinterlassen wurden.“

Für Präsident Erdogan war die Einnahme Afrins ein voller Erfolg: Kaum 48 Stunden waren vom Beginn der Belagerung bis zur bestätigten Eroberung verstrichen. Und trotz der martialischen Ankündigung der YPG, Stadt und Provinz „bis zum letzten Atemzug“ verteidigen zu wollen, kamen seit dem 20. Januar, dem Beginn der Offensive, bislang 46 türkische Soldaten bei Kampfhandlungen ums Leben. Der rasche türkische Vorstoß kostete allerdings einen hohen zivilen Preis. Allein in der Stadt Afrin waren nach Luftangriffen über 215 getötete Einwohner zu beklagen, darunter Dutzende Frauen und Kinder. 

Seit Freitag wuchs die Zahl der Geflüchteten, denen die Türkei einen Korridor in die vom syrischen Machthaber Baschar al-Assad gehaltenen Gebiete um Aleppo eingerichtet hatte, überdies massiv an: Von vormals rund 50.000 auf über 200.000, was gut ein Viertel der Gesamtbevölkerung der Provinz ausmacht.

Die Demokratischen Streitkräfte Syriens (SDF), in deren Dachverband sich auch die YPG organisiert, erheben seitdem schwere Anklage gegen die Türkei. „Die türkische Regierung siedelt turkmenische und arabische Familien in den Dörfern von Afrin an“, bezichtigte Aldar Khalil, Pressesprecher der SDF, vergangene Woche Ankara der ethnischen Säuberung der Kurdengebiete im Norden Syriens. 

Tatsächlich hatte  Erdogan erst kürzlich die Wiederansiedelung eines Teils der gut drei Millionen in der Türkei lebenden syrischen Flüchtlinge in der türkischen Besatzungszone Syriens mit der Begründung vorgeschlagen, Afrin sei „rechtmäßiges arabisches Land“ – und dabei auch die Unterstützung der turkmenischen Minderheit erfahren, die seit je südlich der Provinz Afrin ansässig ist. Doch konkrete Pläne hierfür zu besitzen, bestritt Ankara umgehend. Ein Bevölkerungstransfer in diese Region, um die demographische Struktur zu verändern, stehe außer Frage.

Außer Frage steht für die YPG auch, Afrin nicht aufgeben zu wollen – allein schon aus Gründen der eigenen Legitimation als Schutzmacht der syrischen Kurden. Auf auswärtige Verbündete kann die Miliz dabei jedoch kaum noch zählen: Schon vor zwei Wochen hatte Moskau, um die eigenen bilateralen Beziehungen zu Ankara nicht zu belasten, der Türkei gestattet, den von Rußland kontrollierten westsyrischen Luftraum für eigene Angriffsflüge zu nutzen. 

Angriffe, die den von al-Assad versprochenen Hilfstruppen zum Entsatz der YPG in Afrin galten, die sich seitdem selbst in den sicheren Süden zurückziehen mußten.