© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

Verschuldungsregeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes
Revision notwendig
Dirk Meyer

Mit der Einführung des Euro wurde die Kontrolle über die Geldpolitik auf die EZB übertragen. Deshalb können die nationalen Notenbanken ihren Staaten kein ’Retter in der letzten Not‘ sein und weitere Kredite durch Gelddrucken bereitstellen. Ihr Zugang zum Kreditmarkt ist damit existentiell – will man nicht unter den Rettungsschirm geraten. Deshalb bestehen Verschuldungsregeln. Sie sind jedoch komplex und ihre Einhaltung wird lax gehandhabt. Allein zwischen 1999 und 2015 wurde die Drei-Prozent-Grenze der staatlichen Neuverschuldung 165mal überschritten. Mögliche Sanktionen in Höhe von maximal 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) wären möglich gewesen, doch Fehlanzeige.

Hinzu kommt die italienische Forderung, die Regeln ganz zu schleifen. Der EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt ist Bestandteil des EU-Vertrages und gilt für alle Mitgliedstaaten. Hiernach dürfen die Defizitquote drei Prozent und die Verschuldungsquote 60 Prozent im Regelfall, sprich bei normal verlaufender Konjunktur, nicht überschreiten. Der Fiskalpakt schränkt die jährliche Neuverschuldung auf ein strukturelles Defizit von 0,5 Prozent weiter ein. Bei konjunkturell schlechter Wirtschaftslage können jedoch höhere Defizite durch die EU-Kommission und den Europäischen Rat genehmigt werden – was regelmäßig geschieht.

Die Verschuldungsregeln sind keinesfalls willkürlich gesetzt und ihre Nachhaltigkeit ist an Bedingungen geknüpft. Ein als tragfähig erachteter Schuldenstand von 60 Prozent des BIP ist mit einem jährlichen Defizit von drei Prozent langfristig nur dann vereinbar, wenn das nominale Wirtschaftswachstum fünf Prozent und die Inflation zwei Prozent betragen. Das heißt, das BIP muß real mindestens um drei Prozent wachsen. Für die Eurozone waren diese Voraussetzungen in den 90er Jahren annähernd erfüllt. Doch seitdem sinkt das reale Wachstum: Lag es zwischen 2000 und 2009 bei real 1,3 Prozent, so sank es 2010 bis 2014 auf real 0,8 Prozent. Bei einem ebenfalls sehr geringen Produktivitätswachstum pro Arbeitsstunde von etwa 0,8 Prozent für diesen Zeitraum ist der Produktionsanstieg 2017 von 2,3 Prozent vornehmlich auf die gute Konjunktur zurückzuführen und eher als „Ausreißer“ zu werten.

Unter diesen Rahmenbedingungen läßt eine Schuldenquote von 60 Prozent bei einer Inflation von 1,5 Prozent und einem realen Wirtschaftswachstum von einem Prozent nur eine jährliche Neuverschuldung von 1,5 Prozent zu.

Und: Die Staatsschuld steigt auch durch die jährlichen Zinszahlungen. Ist der Durchschnittszinssatz größer als das BIP-Wachstum, wächst die Staatsschuldquote ohne jegliche Neuverschuldung. Ihre Konstanthaltung erfordert deshalb einen Primärüberschuß. Gerade in Krisenländern beißt sich da die Katze in den Schwanz.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.