© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 13/18 / 23. März 2018

Pankraz,
Ch. von Braun und die Bande des Blutes

Blutsbande sind manchmal schwer zu ertragen, einige leiden richtig darunter, so die „Genderforscherin“ Christina von Braun (73) Ex-Professorin an der Berliner Humboldt-Universität, eine Tochter des berühmten Diplomaten und BRD-Botschafters  Sigismund von Braun. Dessen Bruder war der legendäre Raketenforscher Wernher von Braun, welcher (Originalton Christina) „mit den größten Verbrechern des 20. Jahrhunderts“ kollaborierte. So etwas belastet natürlich empfindliche Mädchen, besonders Genderforscherinnen.

Jetzt hat sich Christina auf ihre älteren Tage endlich Erleichterung verschafft, indem sie den Wälzer „Blutsbande. Verwandtschaft als Kulturgeschichte“ vom Stapel ließ (Aufbau-Verlag, Berlin, gebunden, 537 Seiten, 30 Euro). Die Pointe des Buches liegt in der Behauptung, daß es Blutsbande, also biologisch bedingte Verwandtschaften, gar nicht gebe, daß dergleichen lediglich über Jahrhunderte hinweg männliche Verschwörungstheorien gewesen seien, mit deren Hilfe die Herrschaft der Männer über die Frauen abgesichert werden sollte.

„Biologie ist kein Schicksal“, versichert von Braun in einem Gespräch mit der Berliner tageszeitung. „Die Neurobiologin Ruth Feldman hat schwule Väter in Israel untersucht, die Kinder aufziehen. Bei diesen Vätern fand sie einen ähnlichen Bereich im Gehirn aktiviert wie sonst bei Müttern. Es zeigte sich, daß sich der  ‘Aufmerksamkeitssinn’ auch bei Männern einstellt, wenn sie, bei Abwesenheit einer Mutter, die alleinige Fürsorge für den Nachwuchs übernehmen (…) Forschungen wie diese zeigen, daß die angeblich unveränderbare Biologie eine Folge sozialer Verwandtschaftsdefinitionen sein kann.“


Mit Hinweis auf solche Banalitäten will von Braun also die Bedeutung der biologischen Verwandtschaft für die Menschheitsgeschichte und für das Leben insgesamt aus der Welt schaffen! Die moderne Wissenschaft, Genetik und Reproduktionsmedizin, habe unwiderleglich an den Tag gebracht, daß das traditionelle Familien- und Stammesverhalten,  die primäre Ausrichtung des Lebens an familiären, auch großfamiliären Vorgaben keineswegs auf Blutsbande zurückzuführen sei, sondern ganz allgemein auf „Vertrauen und Verantwortung füreinander“, wo immer die auch herkommen mögen.

Pankraz kann nur den Kopf schütteln. Jeder, auch noch der flüchtigste Blick auf das Leben im allgemeinen und auf die menschliche Kulturgeschichte im besonderen bringt doch an den Tag, daß es nichts anderes als die Blutsbande gewesen sind, die den originären Sinn für Zusammenhalt, Aufeinanderangewiesensein und gegenseitige Rücksichtnahme überhaupt erst geschaffen haben. Die gemeinsame biologische Abkunft war der Kitt, der die Gemeinschaften zusammenhielt und erkennbar machte, schon im höheren Tierreich, wobei das Clan- und Stammesgebaren keineswegs auf die männlichen Individuen beschränkt war.

Die kulturelle Ausprägung des Menschen vollzog sich gänzlich in familiärer und großfamiliärer Form. Die Familie, der Clan, der Stamm, in den man hineingeboren worden war, modulierte die Sprache, gestaltete den Umgang mit der umgebenden Natur, gebar Verhaltens- und Glaubenssätze. Fremde, so sie nicht als Feinde kamen, wurden als Gäste willkommen geheißen und respektvoll behandelt; wenn sie aber auf Dauer bleiben wollten, hatten sie sich strikt in die Stammesgebräuche einzufügen, mußten sich ehrlich integrieren, Loyalitätseide schwören, Prüfungen ablegen.

Natürlich erzeugen „Blutsbande“, also das Bewußtsein familiärer, biologischer Verwandtschaft, auch mißliche Phänomene, Vetternwirtschaft, gesetzloses Bevorzugen von Verwandten, Korruption jeglicher Art. Biologische Nähe erleichtert nicht nur Zutraulichkeit, sondern gegebenenfalls auch Neid und Eifersucht. Es gibt zur Zeit ganze riesige Staaten, die von blutsverwandten Cliquen brutal beherrscht und ausgesaugt werden. Und es gibt den innerfamiliären „Bruderhaß“, eine wahrhaft unheimliche Faktizität, an der sich schon die frühesten Nachdenker  die Zähne ausgebissen haben.


In der alttestamentarischen Erzählung von Kain und Abel, die später auch in den islamischen Koran übernommen wurde (Sure 5:27–31), erschlägt der bodengebundene Ackerbauer Kain seinen Bruder Abel, den kecken Jägersmann, für den die Welt nichts weiter ist als ein einziges Beuterevier,  der sich nicht im geringsten um Bodenbesitz und Stammesgrenzen kümmert. War Kains Mord nun wirklich Ausfluß bloßer individueller Eifersucht? Er wurde ja für seine Tat von Gott nicht tödlich bestraft, sondern „nur“ mit dem „Kainsmal“ gebrandmarkt. Das ließ sich auf vielerlei Art interpretieren.

Schon Jakob Lorber (1800–1864), der wackere christliche Musiker und Mystiker aus der Steiermark, hat seinerzeit vorsichtig die Vermutung geäußert, daß Kains Tat vom Schöpfer selbst inszeniert wurde, um ein Gleichnis aufzurichten, das nur mit Blut geschrieben und in der Erinnerung gehalten werden kann: das Gleichnis nämlich vom Menschen, dessen Leben vom Anfang bis zum Ende in der Blutsbahn verläuft. Keine staatliche Gesetzgebung und keine Morallehre können daran etwas ändern. Sie können nur regeln, Straßen bauen, Verkehrsschilder aufstellen. Mehr ist nicht drin.

Der moderne Staat mit seinen Bürokratien und seiner digitalen Computertechnik ist nicht der Nachfolger der tradionellen Stammesgemeinschaften, sondern lediglich deren Vollzugsorgan und Anpassungsorgan. Das gleiche gilt selbstredend für irgendwelche, von Frau von Braun offenbar herbeigesehnte „Zivilgesellschaften“, die – wie mittlerweile gründlich belegt – nur geschwollen daherreden können und sofort total versagen, wenn sie an die Ränder der Macht herankommen.

Am wenigsten freilich wäre Ersatz für die Blutsbande zu erwarten, wenn wirklich einmal eine  Gemeinschaft komplett in die Hände von Frauen geriete. Das Gegenteil würde eintreten. Denn Frauen sind ja viel fester an Blutsbande, Familie und biologische Verwandtschaft gebunden als Männer.