© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

Ein Land ohne Armut schaffen
Chile: In seiner zweiten Amtszeit will der konservative Präsident Piñera Wunder vollbringen
Emilia Mallea Flores

Der „Beginn des zweiten Übergangsprozesses für Chile als Schwellenland“. Dies sei das Leitmotiv der zweiten Regierung des wiedergewählten chilenischen Präsidenten Sebastián Piñera, erklärt der Chefredakteur der chilenischen Zeitung La Tercera, Daniel Labarca. Vor allem wolle der 69jährige den alten Geist der Reformen der neunziger Jahren nach Ende der Diktatur wiedererwecken, als Chile aufgrund der schnellen wirtschaftlichen Entwicklung zu den „Tigern Südamerikas“ gehörte.

Zentren für Minderjährige sollen reformiert werden

Als der Milliardär im Jahr 2010 zum erstenmal knapp gegen Eduardo Frei Ruiz-Tagle, Sohn des berühmten christdemokratischen Präsidenten Eduardo Frei Montalva (1964–1970), mit 52 Prozent der Stimmen gewann, mußte er gleich die Folgen des verheerenden Erdbebens vom 27. Februar 2010 meistern, die seine erste Amtszeit prägten. Viele Menschen wurden obdachlos und hatten alles verloren. Ein ganzes Dorf verschwand wegen des schlimmsten Erdbebens in der Geschichte Chiles. 

Trotzdem hat Sebastián Piñera Erfolge vorzuweisen. Dabei halfen ihm die stabilen Kupferpreise, die zur Steigerung des Bruttoinlandsproduktes beitrugen. Pro Jahr fördert das Land 5,5 Millionen Tonnen Kupfer. Damit gehört Chile zu den größten Kupferproduzenten weltweit. Zudem werden rund 40 Prozent der weltweiten Kupfervorkommen in Chile vermutet. 

Zum Schluß seiner Amtszeit zog Piñera eine positive Bilanz. Ein Wirtschaftswachstum von über fünf Prozent und ein Rekordtief bei der Arbeitslosigkeit standen dabei im Mittelpunkt. Dennoch hatte er bei der Präsidentschaftswahl im November 2013 keine Chance. Der Unmut eines Großteils der Mitte-Rechts-Wähler über die eigene Regierung war groß. Die Prozeßflut gegen ehemalige hohe Militärs, denen Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden, die mögliche Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften sowie das Versagen der Regierung bei der Bekämpfung der Kriminalität verschreckten den Kern ihrer Anhängerschaft. 

Piñera, Chef der liberalkonservativen Renovación Nacional (RN), ließ der nationalkonservativen Unión Demócrata Independiente (UDI) und deren Spitzenkandidatin Evelyn Rose Matthei Fornet den Vortritt. Diese unterlag in der Stichwahl der Sozialistin Michelle Bachelet.

Diesmal will Piñera mehr versöhnen als polarisieren und hofft dazu, daß keine Naturkatastrophen ausbleiben. Großes Ziel ist die Reform der staatlichen Zentren des Nationalen Dienstes für Minderjährige „Sename“. Deren Bilanz ist erschreckend: 1.313 Kinder und Jugendliche starben in den vergangenen zehn Jahren. Die Versorgung ist schlecht. Viele Insassen gerieten auf die schiefe Bahn. Erstes Ziel Piñeras nach Amtsantritt war daher der Besuch des „Sename“-Zentrums in einem heruntergekommenen Viertel Santiagos.

 Hier beschwor er ein nationales Kinderabkommen und kündigte die Schaffung eines Familienministeriums an. Zeitgleich entließ er den Polizeipräsidenten General Bruno Villalobos wegen eines Spionageskandals und finanzieller Unregelmäßigkeiten.

„Unsere Regierung wird bei einer gründlichen Modernisierung der uniformierten Polizei und der Untersuchungspolizei entschlossen vorgehen. Wir werden unser nachrichtendienstliches System reformieren und eine bessere Koordination zwischen Polizei, Staatsanwälten und Richtern schaffen“, erklärte Piñera.

US-Investor verbreitet Optimismus  

Ganz oben auf seiner Agenda stehen zudem die Lösung des Konflikts mit den indigenen Ureinwohnern (Mapuche), Reformen des Renten- und Gesundheitswesens, ein stetes Wirtschaftswachstum und damit einhergehend die Armutsbekämpfung. Die Zeichen stehen gut. So hat die Investmentbank J.P. Morgan ihre Wachstumsprognosen für die chilenische Wirtschaft erhöht, nachdem die chilenische Zentralbank erklärt hatte, daß die Volkswirtschaft 2017 um 1,5 Prozent gewachsen sei. Laut J.P. Morgan wird das Bruttoinlandsprodukt von 2018 die ursprüngliche Prognose von 3,3 Prozent Wachstum übertreffen und schließlich 3,6 Prozent erreichen.

Doch Piñera hat ein Problem: Sein Wahlbündnis rechter Parteien, „Chile Vamos“ („Los geht’s, Chile“), verfügt in beiden Parlamentskammern über keine Mehrheit. Dennoch ermöglicht das präsidiale System Chiles dem Präsidenten eine eigene Arbeitsagenda. Er kann auch ohne Parlament wichtige Entscheidungen treffen. Doch der neue alte Präsident verweist auf sein „Mehr an Erfahrung und Reife“ und wirbt dabei um Stimmen der gemäßigten Linken und insbesondere der Christdemokraten.

„Chile Vamos“ besteht aus vier rechten Parteien, die mit Diktator Augusto Pinochet (1973–1990) kooperierten. Dies wurde auch Piñera zum Vorwurf gemacht. Doch der damals 39jährige bekannte sich als einer der wenigen rechtskonservativen Politiker öffentlich dazu, daß er beim Plebiszit 1988 für das Ende der Diktatur stimmen werde. 

Piñera studierte an der Harvard Universität in den USA Wirtschaftswissenschaften und ist Sohn eines Vertreters der traditionellen christdemokratischen Partei (DC). Er kehrte in den achtziger Jahren nach Chile zurück, arbeitete für die  Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik der Vereinten Nationen. Parallel dazu führte er ein Kreditkartensystem in Chile ein und wurde mit den Geldtransaktionsgebühren reich. Piñera verkaufte seine Anteile an der Fluggesellschaft LAN Airlines und kandidierte für die rechtsliberale RN zum Präsidentenamt. Sein Lebensweg kommt bei vielen Chilenen an: vom jungen Mann, der von einem Auto träumte, zum Milliardär. 

Dieser rief nun bei seiner Amtsübernahme vom Balkon des Präsidentenpalastes La Moneda alle politischen Parteien zur Einigkeit auf, um die Probleme des Landes zu lösen. „Wir verpflichten uns, eine Regierung des Fortschritts und der Solidarität zu sein, die es uns ermöglicht, innerhalb von acht Jahren Chile zu einem entwickelten Land ohne Armut zu machen“, fügte das Staatsoberhaupt hinzu.