© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 14/18 / 30. März 2018

Die Propaganda der Tat
Mit den Frankfurter Kaufhausbränden entwickeln sich die 68er-Proteste in Richtung des RAF-Terrorismus
Werner Olles

In der Nacht vom 2. auf den 3. April 1968 explodieren in zwei an der Frankfurter Haupteinkaufsstraße Zeil gelegenen Kaufhäusern Brandsätze, die einen hohen Sachschaden verursachen. Die einen Tag später verhafteten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Söhnlein und Thorwald Proll geben während ihres Prozesses bekannt, sie hätten die Kaufhäuser niederbrennen wollen „aus Protest gegen die Gleichgültigkeit gegenüber dem Krieg in Vietnam“. Die große Strafkammer des Frankfurter Landgerichts verhängt über die Angeklagten eine Zuchthausstrafe von jeweils drei Jahren. Als Landgerichtsdirektor Gerhard Zoebe erklärt, es habe sich bei der Tat um „eine menschengefährdende Brandstiftung“ gehandelt, bricht im Saal Tumult aus. Daniel Cohn-Bendit ruft aus dem Zuhörerraum: „Sie gehören zu uns“, die vier gehörten vor ein Studentengericht. Dann setzt der Vorsitzende seine Urteilsbegründung fort, in der er den Angeklagten „gewisse ideelle Motive“ nicht abspricht, sie seien keine Kriminellen. 

Während die linksliberale Publizistik das Urteil als „zu drastisch“ kritisierte, sahen andere darin den Beginn des Linksterrorismus. Für Wolfgang Kraushaar, den Chronisten der Studentenbewegung, lag dessen Ursprung in der „Subversiven Aktion“, aus der die Kommune 1 hervorging: „Ihre provokativen Aktionen und phantasievollen Demonstrationsformen hatten einen enormen Öffentlichkeitserfolg. Nach anfänglichen Widerständen setzten sie sich damit auch im SDS durch.“ 

Tatsächlich war die 22. Delegiertenkonferenz des SDS, die im September 1967 in der Frankfurter Universität stattfand, ein Kulminationspunkt. Für die Hauptreferenten Rudi Dutschke und Hans-Jürgen Krahl war es unstrittig, daß „durch sichtbar irreguläre Aktionen die abstrakte Gewalt des Systems zur sinnlichen Gewißheit werden kann“. Die entscheidende Forderung lautete: „Die Propaganda der Schüsse in der Dritten Welt muß durch die Propaganda der Tat in den Metropolen vervollständigt werden.“ Doch hatte der SDS bereits am 2. Juni 1967, als ein Polizist den Studenten Benno Ohnesorg während der Proteste gegen den Schahbesuch in Berlin durch einen Kopfschuß tötete, über die eigene Bewaffnung diskutiert. 

Nach dem Kaufhausbrand in Brüssel am 22. Mai 1967, bei dem 322 Menschen starben, hieß es in einem von Rainer Langhans und Fritz Teufel verfaßten Flugblatt: „Ein brennendes Kaufhaus mit brennenden Menschen vermittelt zum ersten Mal in einer europäischen Großstadt jenes knisternde Vietnam-Gefühl.“ Von Horst Mahler verteidigt, sprachen die Richter Langhans und Teufel wegen der „erkennbar satirischen Note“ ihrer Schrift frei. Zwölf Tage später brannten die Kaufhäuser in Frankfurt.

Der erste Brand brach kurz vor Mitternacht im Kaufhaus Schneider aus. Wenige Minuten später wurde im Kaufhof Feueralarm gegeben. Zwar fehlte den Anschlägen die Perfektion späterer Attentate, auch wurden nicht gezielt Menschen attackiert, dennoch rückte die Gewaltfrage sehr schnell in den Mittelpunkt der Auseinandersetzungen, da im Kaufhof zur Brandzeit Arbeiter neue Rolltreppen einbauten und in den Kaufhäusern Nachtwächter ihren Dienst versahen. 

Brandstiftung als „politisches Happening“

Am Abend des 4. April ging bei der Polizei ein Hinweis ein, und kurz darauf nahmen Beamte den „Journalisten“ Andreas Baader, die Studenten Gudrun Ensslin und Thorwald Proll und den Schauspieler Horst Söhnlein in der Wohnung einer Cutterin des Hessischen Rundfunks fest. Während der Verhandlung erklärten die Angeklagten ihre Tat zu einem „politischen Happening“ und einer „symbolischen Aktion“. Der SDS-Sprecher Reimut Reiche erklärte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Der SDS ist zutiefst darüber bestürzt, daß es in der Bundesrepublik Menschen gibt, die glauben, an den gesellschaftlichen und politischen Zuständen in diesem Land durch unbegründbare Terroraktionen ihrer Opposition Ausdruck verleihen zu können.“ Andere SDS-Funktionäre sahen in Baader einen „Politclown“ und „schwer narzißtisch gestörten Mann an der Grenze zum Psychopathen“.

In der linksradikalen Zeitschrift Konkret schrieb Ulrike Meinhof: „Warenhausbrandstiftung ist keine antikapitalistische Aktion, eher systemerhaltend, konterrevolutionär.“ Das progressive Moment einer Warenhausbrandstiftung liege nicht in der Vernichtung der Waren, es liege „in der Kriminalität der Tat, im Gesetzesbruch“. Dennoch bleibe, was Fritz Teufel gesagt habe: „Es ist immer noch besser, ein Warenhaus anzuzünden, als ein Warenhaus zu betreiben.“ 

Nach dem Urteil legten die Rechtsanwälte Otto Schily und Horst Mahler Revision ein. Vierzehn Monate nach der Verhaftung wurde der weitere Vollzug unter Auflagen ausgesetzt, im November 1969 wird die Revision verworfen. Baader, Ensslin und Proll tauchen unter, während Söhnlein seine Haftstrafe antritt. Baader und Ensslin kehren im Februar 1970 nach Berlin zurück. Hier wird Baader am 4. April 1970 festgenommen und zehn Tage später bei einer Ausführung aus der JVA Tegel von Ulrike Meinhof und anderen mit Waffengewalt befreit: die Geburtsstunde der „Roten Armee Fraktion“ und des deutschen Linksterrorismus.






Werner Olles war 1968/69 Mitglied im Frankfurter SDS, danach engagierte er sich in Splittergruppen der „Neuen Linken“.